Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 17. Jg. Heft 1 - Mai 2010
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17. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2010

Themen

S. Scherer
Zur Evolution des Bakterienrotationsmotors
Bertsch/Imming
Rechnen mit DNS
R. Junker
Über den Ursprung der Schildkröten (Teil 1)

Kurzbeiträge

H. Ullrich
Intelligente Konstruktion für eine optimierte Nachtsicht
H. Binder
Bernstein aus dem Karbon: interessante chemische Struktur und offene Fragen
R. Junker
Löst Haplocheirus das Zeit-Paradox der Vogelevolution?
R. Junker
Die „Wolke“ über den karbonischen Tetrapoden
R. Junker
Frühe fossile Fährten werfen neues Licht auf Übergangsformen
H. Binder
Wie ähnlich sind Mensch und Schimpanse? Neue Daten zum Y-Chromosom
H. Binder
Die (S)spinnen! Faszinierendes am seidenen Faden

Streiflichter

Täuschen Verwesungsstadien evolutionäre Abfolgen vor?
Vielfalt durch Kombination weniger Gene
Auf den Kopf gestellt: Die Argumentation mit dem Wurmfortsatz
Immer wieder neue Zweifel: Sind Dinosaurier Vorfahren der Vögel?
Mosaikform statt Übergangsform
Neuer Heiz-Mechanismus in Blüten entdeckt
Tiere und Pflanzen verwenden dasselbe Enzym zur Wahrnehmung von Kohlendioxid
DNA aus Fossilien eines Eisbären – neue Einsichten in deren Entstehungsgeschichte
Clostridium cellulolyticum kann viel mehr!
Muskelmasse: 2785 Gene für ihre Funktion
Titelbild: Überraschendes brachten Detailuntersuchungen von Säugetieraugen ans Licht: Die Binnenstrukturen der Zellkerne in den Sinneszellen der Netzhaut sind bei tag- und nachtaktiven Säugetieren verschieden. Die Verteilung der Unterschiede folgt nicht den hypothetischen Abstammungs-zusammenhängen (vgl. S. 29ff.). Foto eurasischer Luchs: (www.fotolia.com, © Eric Isselée)
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Editorial

Es gibt vermutlich kaum eine andere biologische Konstruktion, deren Entstehung ähnlich häufig und kontrovers – bis in Gerichtsverhandlungen hinein – diskutiert wurde wie der „Ultra-Miniatur-Nano-Elektro-Rotationsmotor“, der vielen Bakterien ihre Beweglichkeit ermöglicht. Wer sich die Details und die Leistungsfähigkeit dieser Motoren vor Augen hält, kann wohl nur staunen, und es drängt sich der Gedanke auf, dass ein solches Gebilde auf einen Schöpfer hinweist. Die Parallelen zu technischen Konstruktionen sind beeindruckend, und die Unterschiede zur menschengemachten Technik werfen erst recht die Frage nach einem Urheber auf.

Dennoch gilt es für viele als im Wesentlichen geklärt, dass und wie diese wunderbare Konstruktion auf evolutivem Wege durch zufällige Mutation und Selektion entstanden sei. Selbst diese ausgefeilte Konstruktion erfordere nicht die Annahme eines Schöpfers. Auf youtube gibt es sogar einen Film zur Entstehung des Bakterienmotors, der scheinbar keine Fragen mehr offen lässt.

Die Lage stellt sich anders dar, wenn man genauer analysiert. Nicht selten werden Probleme dadurch „gelöst“, dass man das Erklärungsziel weit heruntersetzt und eine vage Idee bereits als Lösung ausgibt. In seinem Beitrag zur Evolution des Bakterienmotors hat Siegfried Scherer eine genauere Analyse durchgeführt und einen von 11 vorgeschlagenen Schritten von einer Pore in der Bakterienhülle bis zu einem Rotationsmotor untersucht. Dabei hat er den einfachsten Schritt gewählt. Es zeigt sich, dass dieser Schritt nach gegenwärtigem Wissen viele aufeinander abgestimmte Änderungen benötigt, und dass darüber hinaus in dem vorgeschlagenen evolutionären Übergang eine Zielorientierung eingebaut ist, die es im naturalistischen evolutionstheoretischen Kontext nicht geben kann und in Evolutionstheorien nicht geben darf. Das Ergebnis von Scherers Analyse: Die evolutionäre Entstehung des Bakterienmotors ist unbekannt. Diese Akte ist noch nicht geschlossen.

Als grundlegendes Indiz für eine evolutionstheoretische Deutung gelten Merkmalsverteilungen unter verschiedenen Arten oder höheren Taxa, die sich möglichst widerspruchsfrei in einer Baumstruktur darstellen lassen. Dann lassen sich die durch Merkmalsvergleiche konstruierten Ähnlichkeitsbäume im Rahmen einer evolutionären Perspektive als „Stammbäume“ interpretieren. Je genauer und vielseitiger verschiedene Formengruppen jedoch untersucht wurden, desto häufiger zeigen sich widersprüchliche Merkmalsverteilungen, so dass in manchen Fällen die Merkmale verschiedener Familien oder Ordnungen eher eine netzartige als baumartige Beziehung zueinander aufweisen – entgegen evolutionstheoretischen Erwartungen. Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Art stellt Henrik Ullrich vor. Er berichtet über eine Studie über die Binnenstruktur von Zellkernen in den Sinneszellen der Netzhaut tag- und nachtaktiver Säugetiere. Diese Struktur ist je nach Lebensweise charakteristisch und deutlich verschieden, die Ähnlichkeiten folgen nicht Abstammungszusammenhängen, sind aber auch nicht ohne Weiteres als Konvergenzen erklärbar. Dieses Beispiel zeigt außerdem einmal mehr, dass die Behauptung, das Auge sei eine fehlerhafte evolutionäre Kompromisslösung, unbegründet ist.

Weitere Beispiele von teilweise gravierenden Merkmalswidersprüchen im Rahmen evolutionstheoretischer Szenarien liefern die in dieser Ausgabe diskutierten Schildkröten, bei denen morphologische und molekulare Ähnlichkeiten in sehr verschiedene Richtungen weisen, wie Reinhard Junker erläutert. Derselbe Autor stellt als weiteres Beispiel die Vielfalt der Tetrapoden (Vierbeiner) aus dem Karbon vor, deren mosaikartigen Merkmalsverteilungen sich so deutlich einer Baumdarstellung widersetzen, dass ein Paläontologie das Bild einer „Wolke“ gebraucht, die die Abstammungsverhältnisse überdecke. Auch die frühen Fossilien von Vögeln und vogelähnlichen Dinosaurieren stützen dieses Bild, wie der Beitrag über gefiederte fossile Gattung Haplocheirus zeigt.

Immer wieder besondere Beachtung finden Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Schimpanse. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien   veröffentlicht, die molekularbiologische Ähnlichkeiten belegen. Bekannt ist die in diesem Zusammenhang die Zahl 1: Nur in etwa 1 % sollen sich das Erbgut von Schimpanse und Mensch unterscheiden. Es gibt aber eine Reihe von Untersuchungen, nach denen die Unterschiede sehr viel größer sind. Der übliche Hinweis auf den 1 %-Unterschied beruht auf selektiven Daten. Eine der Studien, die viel größere Unterschiede offenlegten, referiert Harald Binder in seinem Beitrag über das Y-Chromosom. Jüngste Analysen von Mensch und Schimpanse haben bei diesem Teil des Erbguts gravierende Unterschiede aufgezeigt. Interpretationen bei vergleichenden Genomanalysen müssem sehr viel vorsichtiger als bisher formuliert werden.

Ihre Redaktion Studium Integrale Journal


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