Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 5. Jg. Heft 1 - April 1998

Ausgabe: 5. Jg. / Heft 1 (April 1998)

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Rezension

Editorial

Vom "Primitivling" zum begabten Musiker – der Neandertaler scheint eine erstaunliche Karriere zu machen. Wohl keine andere fossil bekannte Menschenform genießt eine ähnliche Popularität wie der Mensch vom Neandertaler bei Düsseldorf, von dem mittlerweile Überreste von mehreren hundert Individuen in Europa, im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika gefunden wurden. So populär der Neandertaler ist, so zäh halten sich die Vorstellungen über seine vermeintliche Primitivität. Heute gibt es jedoch kaum Indizien dafür, daß Anatomie und Verhaltensrepertoire des Neandertalers "primitiver" als beim heutigen Menschen waren, auch wenn er sich deutlich von dem des anatomisch modernen Menschen unterschied.

Vor diesem Hintergrund kann ein dem Neandertaler zugeschriebener jüngst gemachter Fund eines als Flöte geschnitzten Bärenknochens kaum noch überraschen. Die Analyse des Flötenbaus zeigt, daß der Benutzer des Instruments über eine dem heutigen Menschen entsprechende harmonische Tonwahrnehmung verfügt haben muß. In seinem Beitrag über diesen Fund berichtet Siegfried Scherer auch über neue molekularbiologische Studien, die den Neandertaler als eine vom anatomisch modernen Menschen frühzeitig unabhängige Linie erscheinen lassen. Welche Konsequenzen auch immer daraus gezogen werden können: das bisherige Bild von der Abstammung der Menschheit verschiebt sich erheblich.

Dazu tragen auch Erkenntnisse über erstaunliche Fähigkeiten von Homo erectus bei, die auch diese Menschenform als hochentwickelt erscheinen lassen. In der letzten Ausgabe berichteten wir bereits über technische Fertigkeiten dieser Menschenform beim Bau von Speeren. Nun hat sich gezeigt, daß H. erectus auch über navigatorische Fähigkeiten verfügte, die ihm Seereisen im südostasiatischen Raum erlaubten und ausgefeilte Sozialstrukturen erforderten. Michael Brandt berichtet darüber in einem Streiflicht auf S. 43. Die Paläanthropologie bleibt spannend.

Auch ein anderes Thema der letzten Ausgabe von Studium Integrale Journal begleitet uns weiterhin, die Frage nämlich, ob aus dem Bau und der Ontogenese heutiger Lebewesen Rückschlüsse auf die mutmaßliche Stammesgeschichte gezogen werden können. Der Zoologe Ernst Haeckel hatte dies nicht nur mit einem klaren "Ja" beantwortet, sondern dazu das berühmte "Biogenetische Grundgesetz" formuliert. Sein Gesetz war schon immer umstritten und wurde vielfach modifiziert. Henrik Ullrich zeigt in seinem Beitrag über die "Wiederentdeckung eines Irrtums", daß auch die moderne Modifikation dieses Gesetzes den embryologischen Befunden nicht entspricht. Die Ontogenese verrät nichts Verbindliches über die zugrundegelegte Stammesgeschichte.

Entsprechende Zurückhaltung ist auch bei der Beurteilung von Unterschieden ausgewachsener Lebewesen angebracht. Walter J. ReMine deutet die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arten als zwei Teile einer "Lebensbotschaft", die der Naturforscher beim Studium der Lebewesen entdecken könne. Reinhard Junker zeichnet ReMines provozierende Überlegungen nach (zur Rezension).

Zwei Beiträge aus der Paläontologie zeigen auf, daß mit wachsender Formenkenntnis ausgestorbener Arten die Konstruktion von Stammbäumen nicht leichter wird. Judith Fehrer und Frieder Zimbelmann stellen in ihrem Beitrag über "alte Vögel" fest, daß die Vielfalt früher Vögel sich als ein Nebeneinander verschiedener Baupläne und verschiedenster mosaikartiger Merkmalskombinationen darstellt. Ähnliches gilt auch für frühe Säugetiere, wie Michael Brandt anhand neuer mesozoischer Funde erläutert.

Als "schwere Geburt" stellt Norbert Pailer die Entstehung des Mondes dar. Ausgerechnet vom uns am nächsten stehenden Himmelskörper muß dies angesichts einer Theorienkonkurrenz von vier Entwürfen festgestellt werden. Vorläufiger Sieger in diesem "Wettkampf" ist diejenige Theorie, die am wenigsten Probleme bereitet, aber dennoch wichtige Fragen offenläßt.

Die Entstehung magmatischer Tiefengesteine gilt in der Geologie als ein Millionen von Jahre währender Prozeß. Für die Abkühlung der Gesteine tief in der Kruste und ihre allmähliche Freilegung durch Anhebung und Abtragung aufliegender Deckschichten wird dies nach wie vor so gesehen. Ganz anders stellt sich die Situation jedoch für den Aufstieg der Schmelzen innerhalb der Kruste dar: Die Fließgeschwindigkeiten können so hoch sein, daß sich beispielsweise das Material für einen Granitpluton in wenigen Jahrzehnten ansammeln kann. Franz Egli-Arm faßt die in den letzten Jahren vorwiegend aus Modellrechnungen gewonnenen Erkenntnisse zusammen (zum Beitrag).

Eine gewinnbringende Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Redaktion Studium Integrale Journal



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