Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
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25. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2018
Titelbild: Der Große Paradiesvogel (Paradisaea apoda). Unser Autor Nigel Crompton erläutert (ab Seite 12) Gründe dafür, dass die erstaunlich farbenfrohe und formenreiche Vielfalt der Paradiesvögel auf präexistenten genetischen Programmen beruht. (Tim Laman / National Geographic Creative, © naturepl.com)



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Themen

M. Kotulla
Rasche Entstehung der Wutachschlucht?
(PDF-Version und zusätzliches Online-Material - PDF)
N. Crompton
Die Paradiesvögel. 2. Präexistente genetische Programme und die Rolle der sexuellen Selektion
R. Junker
Vogelfedern und Vogelflug. 4. Modelle zur Entstehung des Vogelflugs
(Zusätzliches Online-Material - PDF)
H. Ullrich
Wie die Schlangen ihre Beine verloren. Bestätigt die evolutionsbiologische Forschung den biblischen Bericht?

Kurzbeiträge

R. Junker
Die ältesten Bäume waren die komplexesten
H.-B. Braun
Gretchenfrage der Evolution: Sind Ähnlichkeiten homolog oder konvergent?
H. Binder
Darwins „kleiner warmer Tümpel“ und die Entstehung von RNA-Molekülen
R. Junker
Serikornis – Dinosaurier mit halbfertigen Federn?
M. Brandt
Merkmalsnetz statt Stammbaum. Neues Vernetzungsmodell in der Paläanthropologie ähnelt Verwandtschaftsverhältnissen im Grundtyp Mensch
D. Vedder
Schnelle parallele Anpassung nach Inselbildung

Streiflichter

Der ganz normale Hahnenfuß mit viel Liebe zum Detail
Blüten-Halo zur Anlockung von Bestäubern vielfach konvergent
Schnelle Mikroevolution im Garten
Fossiles Pflegemittel für Vogelgefieder
Der „erste“ Archaeopteryx war gar keiner
Komplexaugen: Komplex von Anfang an
Asymmetrien des menschlichen Gehirns finden sich nicht beim Schimpansen
Winzige Pfauenspinne kann mikroskopische Regenbogen erzeugen
Woher kommt das Wasser auf der Erde? (PDF-Version)
Gottesanbeterinnen  können auch 3D sehen – aber anders

Editorial

Demnächst findet wieder eine Fußball-Weltmeisterschaft statt. 32 Teams haben sich qualifiziert, einige davon gelten als Favoriten auf den Titel, anderen wird nur eine Außenseiterchance eingeräumt. Nun stellen Sie sich vor, einer der Favoriten würde aus formalen Gründen vom Turnier ausgeschlossen werden, obwohl das betreffende Team sich auf überzeugende Weise sportlich qualifiziert hat. Das könnte bedeuten, dass möglicherweise das beste Team gar nicht siegen könnte, nicht wegen eines schwachen Auftritts, sondern weil es gar nicht zum Wettstreit zugelassen worden wäre. Unter den restlichen Teams würde zwar immer noch um den Titel gekämpft werden, aber ob das wirklich beste Team siegen würde, wäre ungewiss.

Oder stellen Sie sich einen Kriminalkommissar vor, der einen Todesfall aufklären soll. War es Mord, war es ein Unfall oder ist der Tod auf natürliche Weise eingetreten? Nun sagt dieser Kommissar, obwohl es deutliche Indizien für einen Mord gibt: „Mord war es auf keinen Fall, denn dazu müsste man ja einen Akteur annehmen, der planvoll vorgegangen ist. Diese Möglichkeit muss aber ausgeschlossen werden, weil man sich methodisch auf natürliche Ursachen für das Eintreten des Todes beschränken muss.“ Vielleicht gelingt es dem Kommissar, mit viel Phantasie, ein Szenario zu entwickeln, das den Eintritt des Todes auch ohne die Tat eines Mörders ansatzweise plausibel macht. Vielleicht ist er sogar in der Lage, mehrere solcher Szenarien zu entwickeln. Sie mögen zwar alle nicht überzeugend sein, aber er entscheidet sich schließlich für dasjenige Szenario, das insgesamt die wenigsten Ungereimtheiten beinhaltet. Irgendwie muss der Todesfall ja eingetreten sein, denn schließlich gibt es eine Leiche! Auch wenn die Erklärungen mit vielen Problemen behaftet sein mögen – man könne doch immer darauf setzen, dass weitere Indizien, die in Zukunft noch entdeckt werden, überzeugende Erklärungen durch rein natürliche Umstände ermöglichen. Klar, einen solchen Kommissar gibt es nicht, dann selbstverständlich wird der Möglichkeit, dass es sich um einen Mord handelt, nachgegangen, sobald es Verdachtsmomente in diese Richtung gibt. Und dann muss der Kommissar relevante Indizien suchen und abwägen, zu welchem Szenario die vorliegenden Indizien am besten passen.

Beide „Geschichten“ klingen reichlich abwegig, und doch ist die Situation in der wissenschaftlichen Erforschung von Ursprungsfragen in den Naturwissenschaftsdisziplinen in einem wesentlichen Punkt beiden Fällen vergleichbar. Denn ein aussichtsreicher Konkurrent bzw. eine aussichtsreiche Antwortmöglichkeit wird aus formalen Gründen ausgeschlossen – nicht, weil sie unqualifiziert wäre, und auch nicht, weil es keinen Anlass für sie gäbe, sondern weil sie den weithin akzeptierten weltanschaulichen Rahmen verlässt. Die Rede ist von der Option „Schöpfung“. In einer der letzten Ausgaben von Studium Integrale Journal wurden Details der Vogelfeder vorgestellt und gezeigt, wie viele Abstimmungen und Synorganisation für den Vogelflug erforderlich sind. Grund genug, zur Entstehung des Vogelflugs bei der Abwägung der vorliegenden Indizien die Möglichkeit einer Schöpfung ins Kalkül zu ziehen. Das aber wird in der Evolutionsforschung nicht gemacht, sondern es werden nur Hypothesen einer natürlich-evolutiven Entstehung als Konkurrenten zugelassen. Die Frage, ob die Indizien am besten durch eine Schöpfung erklärt werden können, wird gar nicht gestellt. Was bei dieser Vorgehensweise herauskommt, zeigt Reinhard Junker in der vierten Folge unserer Artikelserie „Vogelfedern und Vogelflug“.

Dass es gute Gründe für Schöpfung gibt, erläutert auch Nigel Crompton in der zweiten Folge über die faszinierenden Paradiesvögel. Woher kommen deren Farbenpracht, der enorme Formenreichtum ihrer Federn und ihr außergewöhnliches Balzverhalten? Auch bei dieser Frage ist es angebracht, nicht nur einen Antworttyp – eine evolutive Entstehung auf der Basis rein natürlicher Mechanismen – zuzulassen. Der Autor erläutert, warum die Annahme präexistenter genetischer Programme die Befundlage viel besser erklärt als das das Modell der mehrfachen vorteilhaften Mutationen.

STUDIUM INTEGRALE JOURNAL hat seinen Namen unter anderen deshalb, weil auch solchen Antwortmöglichkeiten in Wissenschaftsfragen nachgegangen wird, die heutzutage üblicherweise von vornherein gar keine Beachtung finden. Das gilt auch für die Rekonstruktion der Naturgeschichte im Bereich der Geowissenschaften. Ein ergebnisoffenes Abwägen von Indizien in Bezug auf den zeitlichen Rahmen der gesamten Erdgeschichte findet auch dort gewöhnlich nicht statt, denn der Langzeitrahmen der Historischen Geologie steht fest. Michael Kotulla zeigt in seinem Beitrag zur Entstehung der Wutachschlucht,  dass es interessante geologische Indizien dafür gibt, dass dieses Schluchtensystem am Ostrand des Schwarzwaldes binnen Wochen oder Monate entstanden sein könnte. Die Indizienlage ist zwar nicht eindeutig, aber es gibt keinen Grund, sich auf einen sehr viel längeren Entstehungszeitraum festzulegen, nur weil ein solcher besser in das etablierte System der Historischen Geologie passt.
Mit dieser Ausgabe möchten wir unseren Leserinnen und Lesern aufgrund der Indizienlage auch alternative Antwortmöglichkeiten anbieten, die bei der Suche nach den besten Erklärungen sonst kaum berücksichtigt werden.

Ihre Redaktion STUDIUM INTEGRALE JOURNAL



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