Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 5. Jg. Heft 2 - Oktober 1998


Einzigartige Baumgestalten: Die Bärlappbäume des Karbons


von Reinhard Junker

Studium Integrale Journal
5. Jahrgang / Heft 2 - September 1998
Seite 51 - 57


Zusammenfassung: Die Bärlappbäume des Karbons (Lepidodendrales, Klasse Lycopsida) waren einzigartige Pflanzengestalten. Leichtbau, schüttere Kronen, schnell abfallende kleine Blätter, Photosynthese durch die Stämme, schwach ausgebildetes Leitgewebe, eine dicke, z. T. vermutlich hohle Rinde, ungewöhnlich ausgebildete basale (unter-"irdische") Organe (Stigmarien) und determiniertes (begrenztes) Wachstum sind einige besondere Kennzeichen ihres Bauplans. Die Fortpflanzung erfolgte durch Heterosporen; die Sporangien (Sporenbehälter) waren in charakteristisch gebauten Zapfen zusammengefaßt. Die hohlen und aus teilweise leicht zersetzlichem Gewebe bestehenden Stigmarien waren allseitig (flaschenbürstenartig) mit Anhängen (sog. Appendices) besetzt, die ebenfalls hohl waren und mit Hilfe eines Trenngewebes abgeworfen wurden. Da Wurzelhaare und eine Wurzelhaube fehlten und da die Stigmarien anatomisch sehr stark den Luftästen glichen, handelte es sich bei diesen Organen offenbar nicht um - gemessen an heutigen Pflanzen - "normale" Wurzelorgane. Die besonderen Baueigentümlichkeiten passen jedenfalls nicht zu einer Verwurzelung in festem Erdreich und deuten darauf hin, daß die Lepidophyten im Wasser "wurzelten". Bau und Lebensweise der Lepidophyten suchen ihresgleichen in der heutigen Pflanzenwelt.



Die pflanzlichen Überreste des Karbons gehören zu den am besten untersuchten pflanzlichen Fossilien. Ein Großteil der karbonischen Pflanzenfossilien gehört zu den Bärlappbäumen, den Lepidophyten (Ordnung Lepidodendrales). Sie wurden erstmals bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts beschrieben. Bis zu 70% unserer Steinkohle besteht aus Resten dieser Pflanzengruppe (Kerp 1996), die großenteils im Laufe des Oberkarbons und schließlich vollständig im Perm ausgestorben ist.


Eine ungewöhnliche Konstruktion

Abb. 1: Strangenförmiger Bau der karbonischen Lepidophyten. Rekonstruktion nach Bateman et al. (1992).
1 Diaphorodendrom
2 Lepidophloios hallii
3 Anabathra pulcherrima
4 Synchysidendron dicentrum
5 Sigillaria approximata
6 Diaphorodentron phillispii
7 Lepidodendron hickii

Was liegt näher als der Vergleich fossiler Lebewesen mit heute lebenden? Jeder Paläobotaniker muß zunächst von den Kenntnissen über heutige Formen ausgehen. Die Lepidophytenbäume - benannt nach den schuppenförmigen Blattpolstern, die die Rinde bedeckten (gr. lepis = Schuppe) - waren anatomisch, funktionell und ökologisch sehr verschieden von allen anderen Bäumen. Da sich die Paläobotaniker lange Zeit an heutigen Baumgestalten orientierten, wurde das Verständnis der Lepidophyten erschwert. Doch inzwischen ist klar, daß diese Pflanzengruppe so einzigartig gestaltet war, daß von einem speziellen "Bärlappbaum-Habitus" gesprochen werden muß (Phillips & DiMichele 1992, 560) oder auch von "Riesen-Kräutern" ("giant-herbs") die Rede ist (Bateman 1994, 543; vgl. Eggert 1961, 88).

Die Lepidophyten demonstrieren, daß die meisten heutigen Pflanzen "bemerkenswert unrepräsentativ" für die ferne Vergangenheit sind (Bateman & DiMichele 1991, 195). Sie waren nicht "primitiv", sondern andersartig gestaltet.

Morphologie der Luftstämme und -äste.

Mit bis über 40 Meter Höhe (nach manchen Angaben bis 54 Meter) und bis zu 2 Meter Stammdurchmesser konnten die Lepidophyten es mit heutigen Bäumen (Gymnospermen und Angiospermen) ohne Weiteres aufnehmen. Gemessen an dieser Größe waren jedoch ihre Kronen meistens bemerkenswert schwach ausgebildet; im Extremfall (bei einigen Siegelbäumen) war die Krone gänzlich unverzweigt und bestand nur aus einem Blattschopf (war in diesem Fall also faktisch fehlend). Die Bäume waren stangenförmig gebaut (Abb. 1). In diesem Grundbauplan unterscheiden sich die baumförmigen Gattungen nicht grundsätzlich von "krautigen" (Phillips & DiMichele 1992, 564), die mindestens seit dem Unterdevon bekannt sind.

Ungewöhnliche Stammanatomie.

Nicht das Holz, sondern die Rinde und das Periderm sorgten für die Stabilität der Lepidophyten. Im Gegensatz zu den heutigen Holzpflanzen war die Wasserleitung nicht mit dem Stützgewebe gekoppelt. Der Rindenteil war viel stärker entwickelt als der Holzteil (Abb. 2 oben). Die Lepidophyten werden daher als "Rindenbäume" bezeichnet. Die Leitbahnen waren einfach ausgebildet (Proto- bzw. Aktinostelen; z. T. mit Mark). Sekundäres Phloem1 wurde erstaunlicherweise nicht gebildet (es wird w. u. noch deutlich werden, weshalb es nicht benötigt wurde). Vom Kambium (dem teilungsfähigen Gewebe) wurde also nur Xylem nach innen abgegeben, das höchstens wenige Zentimeter dick wurde. Jahresringe fehlten wie bei den meisten karbonischen Hölzern der nördlichen Halbkugel (Chaloner & Creber 1974).


Abb. 2: Morphologische und anatomische Merkmale der Lepidophyten. Oben Stammquerschnitt, links Sporophylll (sporangientragendes Blatt), unten: Blattquerschnitt. (Nach Bateman et al. 1992)

Die mächtige Rinde bestand gewöhnlich aus drei Regionen: einer schmalen Innenrinde aus kleinen Parenchymzellen, einer erheblich dickeren Mittelrinde mit großen, dünnwandigen Parenchymzellen und vielen Lakunen (Hohlräumen) sowie einer ebenfalls relativ breiten Außenrinde mit dickwandigeren und oft sklerenchymatischen (hartwandigen) Zellen. Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß die Mittelrinde oft schlecht und in älteren Stämmen gar nicht erhalten ist. Ihre Zellen zerfielen vermutlich im Laufe des Lebens und hinterließen eine Höhlung (Taylor & Taylor 1993, 245, 257; vgl. Andrews et al. 1971, 9; Beck 1958, 452, 455).

Blätter und Blattpolster.

Die Blätter waren von typisch bärlappartigem Bau: nadelblattartige, schmale, meist kurze sog. Mikrophylle mit einer einzigen Blattspur. Die längeren von ihnen, die bis 1 m lang werden konnten, waren grasartig mit deutlich verbreiterter Basis (Stewart & Rothwell 1993, 135; der Begriff Mikrophyll ist also etwas unglücklich; er hängt mit phylogenetischen Hypothesen zusammen). Die Blätter fielen bald ab (bis auf die kleinen Blätter der Endzweige) und hinterließen Narben auf den charakteristischen arttypischen Blattpolstern, ohne daß allerdings ein echtes Trenngewebe ausgebildet wurde (Bateman et al. 1992, 514). Bei den Blattpolstern (Abb. 2 links) handelt es sich um Erhebungen auf der Stammoberfläche, die vermutlich dem Blattgrund der Mikrophylle entsprechen. Die Blattpolster waren langlebig, da sie mit dem Dickenwachstum Schritt hielten; sie dienten als Aufnahmeapparat für Regenwasser samt Flugstaub und Fäulnisprodukten; das Wasser wurde auf Ligulargruben hingeleitet (Zimmermann 1959, 185)

Der Blattquerschnitt (Abb. 2 rechts) war meist rhombisch; auf der Unterseite befanden sich zwei Längsrillen mit Spaltöffnungen. Der Bau war also xeromorph, was auf den ersten Blick paradox zu sein scheint, wo doch die Pflanzen in feuchtem oder vermutlich sogar nassem Substrat (s. u.) wuchsen. Doch angesichts der Tatsache, daß das Leitsystem eher schwach ausgebildet war, ist dieser Befund letztlich doch verständlich.

Zapfen und Verbreitung.

Abb. 3: Querschnitte durch Sprophylle (nach Ramanujam 1992)
A Lepidostrobus
B Lepidostrobopsis
C Lepidocarpopsis lancelolata
D L. semialata
E Lepidocarpon

Die Zapfen befanden sich an den Enden von Laubsprossen und setzten sich aus spiralig (oder quirlig) stehenden Sporophyllen (sporangientragende Blätter) zusammen. Die Sporangien waren einzeln adadxial auf der Sporophylloberfläche angebracht (Abb. 2 unten). Die meisten Arten waren heterospor, wobei im Extremfall in den Megasporangien nur eine einzige funktionsfähige Megaspore gebildet wurde; bei manchen Gattungen wurde das Megasporangium mehr oder weniger von seitlichen Sporophyllflügeln umhüllt, so daß samenähnliche Gebilde ausgeprägt wurden (Abb. 3).

Die Verbreitung erfolgte durch Heterosporen (Mega- und Mikrosporen), war also abhängig von Wasser. Manche Megasporen besaßen Ornamentierungen, die das Schwimmen ermöglichten oder erleichterten, z. B. hohle, unverzweigte Stacheln (Stublefield & Rothwell 1981, 632; Bateman et al. 1992, 540). Schwimmeinrichtungen sind auch bei Mikrosporen bekannt (Bateman et al. 1992, 540). Oft bildeten ganze Sporangien oder ganze Sporophylle die Verbreitungseinheit (Meyen 1987, 71); dabei waren die Sporophylle vielfach bootförmig ausgebildet und ideal zum Schwimmen geeignet (Leisman & Philipps 1979, 102; Gifford & Foster 1989, 153; Abb. 3).

Begrenztes Wachstum.

Trotz ihrer teilweise enormen Wuchshöhe entwickelten sich die Lepidodendren - wie bereits erwähnt - nicht in großkronige, langlebige Bäume, deren Kronen immer größer wurden. Nach einer gewissen Anzahl von Teilungen des Spitzenmeristems war dieses aufgebraucht und kein weiteres Wachstum mehr möglich. Die Bäume waren also nach einiger Zeit ausgewachsen und nicht mehr in der Lage, weiter zu wachsen und sich im Wuchs an eventuell sich verändernde Bedingungen anzupassen. Ihr Wachstum war demnach trotz baumförmigen Wuchses determiniert (Phillips & DiMichele 1992, 565f.). In dieser Hinsicht kann man diese Bäume mit Wirbeltieren vergleichen und von einem festen "Bauplan" sprechen (Bateman et al. 1992, 541). Es wird vermutet, daß die Bäume sehr schnell wachsen konnten, ziemlich kurzlebig waren, in vielen Fällen nur einmal (oder nur wenige Male) fruchteten und danach im Alter von nur 10 bis höchstens 15 Jahren abstarben.

Photosynthese.

Da die Blätter bald abfielen (s. o.), waren jeweils nur die äußersten Verzweigungen beblättert; nur die kürzeren Blätter an den Endverzweigungen fielen nicht mehr ab. Größere photosynthetische Bedeutung konnte den Blättern also nicht zukommen. Durch den frühen Laubfall und aufgrund der schütteren Kronen konnte das Licht jedoch weitgehend ungehindert auf den Stamm fallen, der von den bereits erwähnten Blattpolstern bedeckt war. Die Blattpolster besaßen Spaltöffnungen, waren also photosynthetisch aktiv. Dazu kommt die Luftversorgung durch sog. Parichnosbahnen.

Diese Konstruktion ermöglichte (aufgrund des "light sharings" mit der Krone) der reifen Stammoberfläche, Photosynthese zu betreiben. Dadurch aber, daß überall an den Bäumen an Ort und Stelle Photosynthese erfolgen konnte, war eine Nährstoffleitung nicht erforderlich: nun wird verständlich, weshalb die Pflanzen kein sekundäres Phloem bildeten; sie benötigten es nicht.2

Die Verzweigung der Lepidophyten hatte denn auch nicht die Aufgabe, möglichst viele Anheftungsstellen für Blätter bereitzustellen, um dadurch eine große Oberfläche dem einfallenden Licht darzubieten, sondern sie diente möglicherweise fast ausschließlich oder mindestens überwiegend der Fortpflanzung, d. h. es handelte sich bei den Zweigen sozusagen um Zapfenanheftungsstellen (eventuell mit Ausnahme von Diaphorodendron scleroticum) (Phillips & DiMichele 1992, 578).

Basale Organe.

Abb. 4a: Stigmarie und Appendices. Überblick (aus Bateman et al. 1992)

Sehr ungewöhnlich sind auch die basalen (unter"irdischen") Organe der Lepidophyten, die bis zu 15 Meter lang wurden (Taylor & Taylor 1993, 261). Bis heute behaupten sich verschiedene Auffassungen über die Natur dieser Organe (kurzer Überblick bei Frankenberg & Eggert 1969, 2f.). Es handelte sich jedenfalls nicht um Wurzeln, die anatomisch mit Wurzeln heutiger Pflanzen vergleichbar wären, sondern sie entsprechen deutlich den Luftsprossen. Außerdem fehlen Wurzelhaare und Wurzelhaube. Die Lepidophyten waren daher strenggenommen wurzellos. Die Päläobotaniker taten sich denn auch schwer, eine passende Bezeichnung für diese Pflanzenteile zu finden. Die größeren Äste werden wegen der mit Narben übersäten Oberfläche (s. u.) Stigmarien genannt und als Formgattung Stigmaria beschrieben. Der innere Bau (Abb. 4) gleicht histologisch und in der Zonierung der Rindengewebe dem Bau der Luftzweige, so daß die Stigmarien als umgebildete Äste betrachtet werden, die die Verankerung im Substrat bewirken (vgl. z. B. Eggert 1972, 93; eine Übersicht über den Bau bieten beispielsweise Frankenberg & Eggert 1969, 35-38).3

Der zentrale Markraum der Stigmarien war oft hohl. Wie bei den Luftsprossen war auch bei den Stigmarien die mittlere Rinde schlecht oder gar nicht erhalten; sie ist "sehr unvollständig bekannt", "die exakte Histologie ist nicht bekannt" (Frankenberg & Eggert 1969, 21, 35). Vermutlich war dieser Teil der älteren Stigmarien wie das Mark hohl.


Abb. 4b: Stigmarie und Appendices. Querschnitt (nach Frankenberg & Eggert 1969)

Die Stigmarien spitzen sich am Ende schnell zu und weisen eine Art konkaven Stöpsel aus Parenchym auf, der vielleicht die Funktion einer Schutzkappe hatte (Meyen 1987, 78; Rothwell 1984).

Abb. 5: Stigmarie mit Abbruchnarben der Appendices; nach verschiedenen Richtungen abstehende Appendices sind ebenfalls gut zu sehen (Steinbruch Rauen bei Witten)

Die oft verwendete Bezeichnung "Wurzelträger" für die Stigmarien ist unglücklich, da sie keine Wurzeln tragen. Ihre Anhängsel, Appendices genannt, weisen im Bau und in der spiraligen Anordnung ebenfalls Beziehungen zu den Ästen von Luftzweigen auf. Sie wurden mit Hilfe eines Trenngewebes abgeworfen und hinterließen dann charakteristische Abbruchnarben (Stigmen), denen die Stigmarien ihren Namen verdanken (Abb. 5). Der Abwurf erfolgte auf erstaunlich ähnliche Weise wie der Blattfall heutiger Laubbäume (Frankenberg & Eggert 1969, 39).

Die Innenrinde der Appendices zerfiel im Lebenzustand, so daß sie zu luftgefüllten Schläuchen wurden, die die (anfangs an einem parenchymatischen Septum aufgehängte) Stele umhüllten. Das Gefäßbündel in den Appendices ist bilateralsymmetrisch (Wurzeln haben sonst ein protostelisches radiärsymmetrisches Leitgewebe).

75-90% der basalen Biomasse bestanden aus den Appendices! Dies ist ein weiteres Argument dafür, daß die Appendices keine normalen Wurzelorgane waren (Phillips & DiMichele 1992, 569).

Neuerdings wird sogar vermutet, daß das Stigmariensystem mit den Appendices photosynthetisch aktiv war. Durch das "light sharing" aufgrund der schwach ausgebildeten Kronen konnten oberflächennahe Appendices sehr wahrscheinlich genügend Licht einfangen, um es photosynthetisch zu nutzen. Sie konnten sich damit selbst versorgen (Phillips & DiMichele 1992, 567f.). Diese Vermutung wirft Fragen nach der Ökologie dieser Bäume auf, auf die weiter unten eingegangen wird.4

Alles in allem müssen die basalen Organe als Zweigsystem betrachtet werden, das für "Wurzelfunktion" modifiziert wurde (Frankenberg & Eggert 1969; vgl. Stubblefield & Rothwell 1981, 633).

Ontogenese.

Die Ontogenese der Lepidophyten verlief nach einem charakteristischen Muster: In einer frühen Phase, die als Epidogenese bezeichnet wird, erfuhr das primäre Gefäßsystem eine progressive Vergrößerung und Zunahme der Komplexität (Stewart & Rothwell 1993, 133). In der nachfolgenden Apoxogenese wurde mit jeder Dichotomie das terminale Meristem aufgebraucht, bis es schließlich zu klein war, um weitere Gabelungen zu ermöglichen, und verbraucht war (begrenztes Wachstum, s. o.). Ein vergleichbarer Vorgang ist von heutigen krautigen Lycopsiden bekannt; bei heutigen Gehölzen kommt ein solches Wachstumsmuster dagegen nicht vor. Als Folge davon konnten die kleineren Äste nicht in größere Zweige auswachsen (Taylor & Taylor 1993, 259). Die Blattpolster und die Blattspreite wurden zum Apex hin immer kleiner und weniger (Phillips & DiMichele 1992, 561).

Die ersten ontogenetischen Stadien können mangels Fossildokumentation nur hypothetisch vermutet werden; es ist anzunehmen, daß sich zuerst das Stigmariensystem ausbildete. Da es wahrscheinlich photosynthetisch aktiv war, ist diese Annahme sinnvoll; außerdem würde es zunächst nahezu keinen Schattenwurf geben (Phillips & DiMichele 1992, 570f.).


Bauteile und Bauplanvariationen

Abb. 6: Hypothetischer Bau eines Bärlappbaums, dessen vier Bauteile (Module) alle gut entwickelt sind (aus Bateman & DiMichele 1991)
1 Basale Teile (Stigmarien mit Appendices)
2 Stamm
3 Seitenzweige
4 Kronenzweige

Die Bärlappbäume bestanden aus bis zu vier Hauptbauteilen ("Module" nach Bateman et al. 1992, 543; Bateman & DiMichele 1991, 198): Stigmarien, Stamm, (verzweigte) Krone und Seitenzweige (Abb. 6). Je nach Vorhandensein und Kombination dieser Teile ergeben sich verschiedene Baupläne.

Variation der Größe und der Menge an sekundärem Gewebe der vier Bauteile sowie Variation der Häufigkeit der Gabelungen der Seitenzweige und der Krone ermöglichte ein gewisses Spektrum von Wuchsformen (Bateman et al. 1992, 543; vgl. Abb. 1 und 7). Aufgrund des determinierten Wachstums gab es jedoch viel weniger Möglichkeiten im Vergleich zu den Angiospermen, aufgrund von Umwelteinflüssen die Wachstumsarchitektur anzupassen (Bateman et al. 1992, 543; Bateman & DiMichele 1991, 198).

Einige Gattungen besaßen einen scheinkrautigen Wuchs ("pseudoherbs"), eine Wuchsform, die heute in dieser Form nicht vorkommt (Abb. 7). Wesentliche Merkmale sind die Beschränkung von Holz und Periderm auf die Hauptachse und die Stigmarien, ein sehr kurzer Stamm, der die Zweige nicht deutlich über den Erdboden erheben kann (Bateman & DiMichele 1991, 199), und radiärsymmetrische Zweige ohne Adventivwurzeln (vgl. Bateman & DiMichele 1991, 200). Echte prostrat wachsende Kräuter besitzen dagegen eine bilateralsymmetrische Achse und Adventivwurzeln.

Abb. 7: Hizemodendron als Beispiel einer scheinkrautigen Lepidophyte ("pseudoherb"). (aus Bateman et al. 1992)

Ökologische Betrachtungen

Wichtige Merkmale der Lepidophyten sollen nun unter ökologischen Gesichtspunkten aufgegriffen und kommentiert werden.

Einige Eigenschaften sind typisch für Pionierpflanzen:

  • Schneller Wuchs
  • Kurzlebigkeit
  • viel Energie wird in die Verbreitungskörper gesteckt
  • einmalige Fortpflanzung oder nur wenige Fortpflanzungszyklen und danach Absterben.

Diese Eigenschaften sind auffällig vergleichbar mit den Lebensstrategien einjähriger Angiospermen-Kräuter. Aber hier handelt es sich um Bäume oder niederliegende "Gehölze" ("pseudoherbs"). Von Pionierpflanzen sollte man weiterhin erwarten, daß sie sich effektiv vegetativ fortpflanzen können, doch das ist bei den Lepidophyten nicht der Fall; vegetative Vermehrung ist bei ihnen unbekannt (Philipps 1979, 240).

Weitere bemerkenswerte Eigenschaften der Lepidophyten deuten (zusätzlich) in eine andere Richtung. Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, daß recht viel von Anpassung ans Wasser bzw. von Eigenschaften, die viel besser (oder nur) zu Wasserpflanzen passen als zu Landpflanzen, die Rede war. Im Einzelnen:

  • Fortpflanzungskörper (Megasporen oder Sporophyll-Megasporangium-Einheit) sind meist (immer?) schwimmfähig oder sogar ausgesprochen fürs Schwimmen konstruiert (Bootform des Stiels des Megasporophylls).
  • Die Appendices wurden abgeworfen. Das macht nur Sinn im Wasser und paßt nicht zu einer Wurzelung im Substrat.
  • Die Anatomie der Stigmarien und der Appendices war nicht wurzelartig, sondern entsprach der der Sprosse.
  • Gleiches gilt für die Anordnung der Appendices.
  • Wurzelhaare und Wurzelhaube fehlen.
  • Sehr wahrscheinlich waren die Stigmarien photosynthetisch aktiv; das ist nur bei "Wurzelung" im Wasser möglich.

Neben diesen deutlichen Wasser-Lebensstrategien sind weitere Merkmale am ehesten bei einer Lebensweise im Wasser verständlich:

  • Die Appendices waren hohl und vermittelten Auftrieb. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen angesichts der Tatsache, daß die Appendices 75-90% der gesamten Biomasse der Lepidophyten ausmachten.
  • Die mächtige mittlere Rinde der Stigmarien und der Markraum waren aus einem zarten Gewebe gebildet und möglicherweise in älteren Exemplaren aufgrund von Gewebeauflösung hohl.
  • Gleiches gilt für die mittlere Rinde der Luftsprosse.
  • Stämme, Stigmarien und Appendices wurden oft mit Sediment verfüllt. Hier wird zwar meist angenommen, daß dies durch eine schnelle Zerstörung des toten Gewebes ermöglicht wurde (z. B. Gothan & Weyland 1964, 122), doch könnten es auch primäre Höhlungen gewesen sein. In jedem Fall ist klar, daß es sich um ein leicht zersetzliches und damit lockeres, luftgefülltes Gewebe handelt mußte.
  • Stigmaria-Innenausgüsse sind typischerweise etwas abgeflacht (Rothwell 1984, 1032) - das könnte ein Hinweise darauf sein, daß sie plattgedrückt wurden.

Insgesamt drängt sich ein Bild auf, das gewöhnlich nicht diskutiert wird, für das aber neben den genannten anatomischen Merkmalen auch geologische Indizien angeführt werden können (vgl. Scheven 1986): die Lepidophyten befanden sich im Wasser, ohne festen Kontakt zu einem Boden zu haben. Sie waren nicht nur großenteils im Wasser, sondern ganz im Wasser: schwimmende Wälder. Insbesondere der Bau der Stigmarien und der Appendices läßt kaum eine andere Deutung zu.5

Diese Vorstellung ist nicht neu. Sie wurde am Ausgang des letzten Jahrhunderts besonders von Kuntze vertreten (vgl. Kuntze 1884, 1895; s. Kasten) und in modifizierter Form von Scheven (1986) neu in die Diskussion gebracht. Das Schwimmwaldkonzept fand jedoch wenig Beachtung (vgl. die Kritik von Gastaldo 1985).

In einem Folgebeitrag sollen evolutionstheoretische Studien vorgestellt und einer kritischen Beurteilung unterzogen werden.


Die Pelagochthonie der Lepidophyten nach Kuntze (1884)

Die nachfolgend zitierte Beschreibung von Otto Kuntze (1884) und seine Schlußfolgerungen zeigen erstaunliche Übereinstimmungen mit dem heutigen Stand der Kenntnisse über die Ökologie der Lepidophyten, wobei seine Vermutung, die Lepidophyten hätten brackische Meere und nicht Süßwasser besiedelt, allerdings aus physiologischen Gründen problematisch ist. Die Lebensweise auf der Meeresoberfläche nannte er "pelagochthon". (Kuntze war Evolutionsanhänger und lehnte eine Katastrophenlehre ab.)

"Die schwimmende Meeresflora entwickelte sich mehr waldartig (hainartig) über dem brackischen Wasser... Zwischen und über dem schwimmenden Rhizomgewirr der kronenlosen oder armkronigen Lepidosigillarien-Bäume entwickelten sich die Farne häufiger" (S. 45f.). ("Lepidosigillarien" ist bei Kuntze ein Sammelbegriff für die Lepidodendren und Sigillarien gleichzeitig wegen des Vorkommens von vielerlei Mittelformen; S. 45.)

"Die Lepidosigillarien konnten keine Landpflanzen gewesen sein, weil sie keine echten Wurzeln hatten; ihre Rhizome (Stigmarien), die man manchmal als Wurzeln deutet, strahlten horizontal-allseitig bis 20 m weit aus und waren dichotom verzweigt, sodass sie befähigt waren, die mehr oder minder großen, kronenlosen oder nur wenig dichotom verzweigten Baumstämme, welche innen lockermarkig oder manchmal auch hohl, also spezifisch sehr leicht waren, schwimmend zu tragen. Diese Rhizome waren mit flachen, lineallanzettlichen, gleichlangen, dicht spiralig geordneten, an der Basis verschmälerten, abfallenden, steifgeraden Blättern, welche das Astende überragten, ... versehen, ..., die ... nicht Wurzeln sein können. ... so sind die Stigmarien zweifellos schwimmende Wasserpflanzen gewesen. Demzufolge müssen auch die dazugehörigen Lepidosigillarien Wasserpflanzen und zwar, da sie aufrecht schwimmen konnten und mußten, da ihnen auch Haftwurzeln fehlten und sie leichter als Wasser waren, aufrecht schwimmende Bäume gewesen sein" (S. 191-193).

"Es ist nun folgerichtig, dass die Stigmarien, wenn sie wurzellose schwimmende Pflanzen waren, sich nicht auf Aestuarien [= Mündungsgebiete, Anm.] beschränken konnten, sondern sich auch auf dem damals ruhigen Ocean schwimmend befanden" (S. 194).


Anmerkungen

  1. Phloem = Siebteil; Teil des Leitbündels, der die durch die Photosynthese erzeugten Stoffe transportiert, sowie die begleitenden Parenchymzellen und mechanischen Zellen. Zum sekundären Phloem gehört alles, was das Kambium nach außen abscheidet.
  2. Auch die Zapfen waren vermutlich autark: Die extrem großen distalen Blattspreiten der Sporophylle (besonders beim Lepidocarpon-Typ) dürften eine größere photosynthetische Quelle gewesen sein, die zur Zapfen-Entwicklung und den enormen Megasporen-Reserven beitrug (Phillips & DiMichele 1992, 567).
  3. Für die Beurteilung der Natur der Stigmarien ist neben der großen anatomischen Ähnlichkeit mit den Sprossen die Tatsache bedeutsam, daß sie ontogenetisch einer Gabelung des embryonalen Apex entspringen und sich nicht aus einer embryonalen Wurzeln entwickeln (Meyen 1987, 71; vgl. Stubblefield & Rothwell 1981, 633). Das Wachstum war wie bei den Sprossen begrenzt (Apoxogenesis; s. u.). Für Wurzeln untypisch ist weiterhin die endarche Reifungsrichtung des Xylems (Reifung von innen nach außen) und der Besitz von Mark.
  4. Die Stigmarien waren möglicherweise hauptsächlich für die CO2-Aufnahme verantwortlich. Wenn, wie vermutet wird, die Appendices nur einen Teil der hohen CO2-Konzentration photosynthetisch nutzten, wäre der Wassertransport ein Mittel gewesen, gelöstes CO2 zu den Luftteilen zu befördern. Das könnte die Photosynthese-Kapazität des Sprosses verbessert haben, wobei das Parichnosgewebe die O2-CO2-Balance vermittelt haben könnte. Das liefe auf eine CAM-artige Physiologie hinaus (Phillips & DiMichele 1992, 569), die auch beim rezenten Brachsenkraut Isoetes entdeckt wurde (Phillips & DiMichele 1992, 570; vgl. Bateman 1994, 543), das von vielen Autoren in einen phylogenetischen Zusammenhang mit den Lepidophyten gebracht wird.
  5. Als geologische Indizien für das "Wurzeln im Wasser" können z. B. gelten:
    1. Die unteren Abschnitte der basalen Teile liegen heute in Schieferton oder feinem, oft kreuzgeschichteten Sandstein eingebettet. Wären sie in geschichtetem Sand gewachsen, so hätte das Pflanzenwachstum wie auch die Grabbewegungen der zum normalen Boden gehörenden Kleintiere die Schichtung zerstört.
    2. Die hohlen, durch die spätere Auflast meist zu flachen Bändern gepreßten Appendices sind nicht selten aufgesplittert, mit Sand verfüllt und auf diese Weise körperlich erhalten geblieben, was in einem echten Boden schwer vorstellbar ist.
    3. Tonige Wurzelböden enthalten nicht nur Wurzelorgane, sondern es werden in ihnen flachgepreßte Bärlappbaum-Rinde oder Schachtelhalm-Abschnitte, ja sogar Farnfiedern in guter Erhaltung gefunden. In einem aktiven Boden können solche Pflanzenteile nicht erhalten werden.
    4. Die "Wurzelböden" bestehen aus den verschiedensten mineralischen Substraten wie Quarzsandstein, Tonschiefer oder gelegentlich auch Kalkstein. Im Vergleich mit den Ansprüchen heutiger Pflanzen melden sich Zweifel, ob ein und dieselbe Vegetation auf derart unterschiedlichen "Böden" gedeihen konnte.
    5. Schließlich widerspricht dem Bodencharakter der sog. Wurzelböden die mehrfach dokumentierte Tatsache, daß ihnen ein echtes Bodengefüge fehlt (kein Krümel- und Polyedergefüge, kein Bodenprofil, keine atmosphärische Verwitterung, keine Beeinflussung durch die Aktivität lebender Wurzeln).

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Studium Integrale Journal 5. Jg. Heft 2 - Oktober 1998