Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 14. Jg. Heft 1 - April 2007
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Entstehung des Lebens – Alternative Modelle in Frage gestellt

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
14. Jahrgang / Heft 1 - April 2007
Seite 43 - 44



Inhalt
•  Einführung
•  Kritik
•  Entgegnung
•  Fazit
•  Literatur


Einführung
Abb. 1: Vorstellungen zur Entstehung des Lebens; die bisherigen Erfahrungen mit chemischen Synthesen im Labor zeigen keinen plausiblen Weg dafür, wie die benötigten Verbindungen zufällig zustandekommen könnten. (Aus Junker & Scherer, Evolution – ein kritisches Lehrbuch, Gießen 2006)

Der Chemiker Günter Wächterhäuser hat mit mehreren Veröffentlichungen im Jahre 1988 in die Diskussionen um Modelle zur Lebensentstehung eingegriffen. Zunächst zeigte er die schwerwiegenden Schwachstellen verschiedener bisheriger Vorstellungen auf, um dann seine Version theoretisch zu entfalten. Sein Vorschlag zur Chemie der Lebensentstehung weist Ähnlichkeiten mit anderen auf, die man unter dem Begriff „Stoffwechsel-Anfang“ zusammenfassen könnte. Nach diesen Vorstellungen haben anfänglich verschiedene kleine Moleküle in eingegrenzten Reaktionsräumen ein Netzwerk aus verschiedenen chemischen Reaktionen etabliert. Diese chemischen Umwandlungen werden nach Wächtershäuser durch Energie aus Redoxreaktionen an der Oberfläche von Eisensulfid (FeS)-Mineralien gespeist.

In den nachfolgenden Jahren hat er zusammen mit Mitarbeitern experimentelle Untersuchungen für einzelne Ausschnitte seines Modells vorgelegt. Zuletzt beschrieben Huber & Wächtershäuser (2006) Laboruntersuchungen, in denen sie aus Kaliumcyanid (KCN) und Kohlenmonoxid (CO) als Kohlenstoff(C-)-Quellen a-Hydroxy- und a-Aminosäuren synthetisierten. Sie wählten Bedingungen, von denen sie glauben, dass sie vulkanischen oder hydrothermalen (heiße, mineralreiche Quellen im Bereich der Mittelozeanischen Rücken) Umgebungen entsprechen. Die Autoren erheben den Anspruch, mit ihren Ergebnissen die Lücke zwischen Biochemie und Geochemie von Vulkanen verringert zu haben und damit neue Wege zu weisen für die Erforschung der Lebensentstehung unter vulkanischen und hydrothermalen Bedingungen.

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Kritik

Dieser Anspruch wird von einer Gruppe von Autoren, die bereits eigene Beiträge zur präbiotischen Chemie vorgelegt haben, kritisiert (Bada et al. 2007). Die Kritiker erheben folgende Einwände:

  • Die Konzentrationen der in den Experimenten als Kohlenstoffquellen eingesetzten Verbindungen (KCN und CO) sind – gemessen an plausiblen präbiotischen Bedingungen – unrealistisch hoch; außerdem ist KCN ist unter den gewählten Reaktionsbedingungen nicht stabil.
  • Die nachgewiesenen Reaktionsprodukte und deren Mengenverhältnisse sind denen von Ursuppenexperimenten ähnlich; diese werden aber gerade von Wächtershäuser stark kritisiert.
  • In Ursuppenexperimenten fallen typischerweise durch Polymerisation von Cyaniden teerähnliche Produkte an, dadurch wird die Ausbeute an benötigten Stoffen verringert. Huber & Wächtershäuser betonen, dass in ihren Experimenten keine teerähnlichen Polymere anfallen und sehen darin einen Hauptunterschied zu den von ihnen kritisierten Ursuppenexperimenten. Die Kritiker halten dem nun entgegen, dass das durch den Einsatz der Metallkatalysatoren leicht nachzuvollziehen sei. Sie unterstellen, dass in einem der Versuche von Huber & Wächtershäuser, bei dem kein Katalysator eingesetzt wurde, Polymerisationsprodukte entstanden seien. Und stellen so abschließend fest, dass
  • die Resultate von Wächtershäuser & Huber (2006) mit Vorstellungen von modernen Vorstellungen zur Ursuppenchemie verträglich sind und keine grundsätzliche Alternative darstellen.
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Entgegnung

In ihrer Erwiderung skizzieren Wächtershäuser & Huber (2007) zunächst noch einmal ihre Vorstellung von einem „Pionierorganismus“, der sehr rasch und aufgrund eindeutiger Mechanismen entstehen soll, und zwar durch autokatalytische Fixierung von Kohlenstoff in einem Lavastrom im Kontakt mit Katalysatoren aus Übergangsmetallen. Unter „Pionierorganismus“ verstehen sie z.B. ein sich auf einer Mineraloberfläche vervielfältigendes Reaktionssystem, das Kohlenstoff fixiert – ein solcher Komplex unterscheidet sich allerdings sehr deutlich von den üblichen Vorstellungen von einem Organismus.

Demgegenüber erfordert nach ihrer Sicht die Ursuppentheorie einen langwierigen, mechanistisch unklaren Selbstorganisationsprozess, der in einem kalten Ozean ablaufen soll, in dem sich über lange Zeit organische Substanzen ansammeln.

Auf die Einwände der Kritiker eingehend, stellen Wächtershäuser & Huber fest:

  • Die eingesetzten Metallionen (Fe2+ und Ni2+) bilden Komplexe mit den Cyanidionen, diese seien stabil und zeigten vollkommen andere Eigenschaften als Cyanidionen in Lösung.
  • Die hohen CO-Drücke wurden eingesetzt, um höhere Reaktionsgeschwindigkeiten zu erzielen, die Reaktionen laufen auch bei verminderten CO-Konzentrationen ab.

Aus der Perspektive der Kritiker stellen die synthetisierten Verbindungen lediglich Komponenten für die Ursuppe dar, während Wächtershäuser & Huber darin einen Beleg für ein katalysiertes Reaktionssystem erkennen, in welchem Kohlenstoff fixiert wird und schließlich zur Reproduktion des gesamten Systems führen kann.

Wächtershäuser & Huber (2007) weisen abschließend nochmals auf die grundlegenden Unterschiede der beiden Erklärungsmodelle hin und behaupten, dass für Ursuppen-Modelle immer nur Teilaspekte experimentell zugänglich sein werden, während sie von ihrer eigenen Vorstellung von einem „Pionierorganismus“ erwarten, dass sie komplett experimentell untersucht werden kann.

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Fazit

Die hier vorgestellte Diskussion bestätigt, dass zur Zeit kein plausibles Modell zur Lebensentstehung vorliegt. Die Vertreter unterschiedlicher Vorstellungen zeigen mit ihrer fundamentalen Kritik die Lücken der jeweils anderen Modelle auf. Die Suche nach ungeplanten und ungesteuerten chemischen Vorgängen, die zur Entstehung von Leben führen könnten, scheint derzeit nicht erfolgversprechend zu sein. Dies gilt umso mehr, als selbst von Versuchen, minimale Lebenssysteme gezielt nachzubauen, d.h. unter Ausnutzung allen Know-hows und aller Technologie bis heute keine durchschlagenden Erfolge vermeldet wurden.

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Literatur

Huber C & Wächtershäuser G (2006)
a-Hydroxy and a-amino acids under possible hadean, volcanic origin-of-life conditions. Science 314, 630-632.
Bada JL, Fegley jr. B, Miller SL, Lazcano A, Cleaves HJ, Hazen RM & Chalmers J (2007)
Debating evidence for the origin of life on earth. Science 315, 937-938.
Wächtershäuser G & Huber C (2007)
Response. Science 315, 938-939.

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