Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 12. Jg. Heft 2 - Oktober 2005
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Trickreiche Tänzerinnen – Bola-Spinnen

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
12. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2005
Seite 80


Faszinierende Fähigkeiten im Einsatz von Spinnfäden offenbaren die Bola-Spinnen. Die den ecribellaten Radnetzspinnen (Araneidae) zugeordneten Bola-Spinnen sind in verschiedenen Gattungen aus Afrika (Cladomela), Australien (Dicrostichus) und Amerika (Mastophora) beschrieben.

Als „stark reduziertes Netz“ bauen und nutzen z.B. Mastophora-Spinnen als Ruhe- und Arbeitsplatz nur einen horizontalen Faden. An diesem Faden rasten die in Feld- und Laborstudien untersuchten weiblichen Bola-Spinnen und von ihm aus fangen sie ihre Beute. Dazu nutzen die Spinnen einen zweiten kurzen Faden, an dessen Ende sich ein klebriger Tropfen befindet. Diesen Fangfaden gebrauchen sie – wie das namengebende südamerikanische Wurf- und Fanggerät – und schwingen ihn in Richtung nahe vorbei fliegender Nachtschmetterlinge (Eulen, Noctuidae). Wird die Beute getroffen, so bleibt diese daran haften; die Jägerin steigt am Fangfaden hinab, injiziert ihr Gift bzw. Verdauungsflüssigkeit und saugt den Schmetterling aus.

Abb. 1: Die Bola-Spinne Mastophora stowei (© Ken Haynes, Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Eberhard (1977) konnte in Feldstudien zeigen, daß die Beute von Mastophora auf sehr wenige Eulen-Arten (Spodoptera und Leucania) begrenzt ist. Weiter konnte er nachweisen, daß die zunächst eher wenig effizient erscheinende Methode zum Beutefang erstaunlich erfolgreich ist. Während einer Beobachtungszeit von 517 Minuten (in 12 Nächten) notierte er 86 Annäherungen von Schmetterlingen. 82 Annäherungen lösten 20 Wurfversuche aus, von denen 40% erfolgreich waren (nicht alle Beutetiere kommen nahe genug für einen Fangversuch). Durchschnittlich fingen die Spinnen 2,2 Beutetiere pro Jagdnacht und damit ca. 18% ihres Körpergewichts. Damit ist der Jagderfolg durchaus mit demjenigen von radnetzbauenden Spinnen vergleichbar.

Eberhard beobachtete weiter, daß die Beutetiere die Seiltänzerin ausschließlich gegen den Wind anflogen und auch nur, wenn diese in Jagdposition war. Er konnte zeigen, daß die Attraktivität nicht vom Jagdgerät ausging. Dies wird übrigens von Mastophora etwa alle 30 Minuten verspeist und durch ein neues ersetzt, da der Klebetropfen austrocknet und damit unwirksam wird. Er vermutet, daß die Bolaspinne den Sexuallockstoff (Pheromon) der weiblichen Eulen imitiert und mit diesem Griff in die chemische Trickkiste deren männliche Artgenossen anlockt.

Stowe et al. (1987) konnten diese Hinweise und Vermutungen bestätigen. Sie zogen Mastophora-Spinnen im Gewächshaus unter annähernd natürlichen Umständen auf. Jagende Bola-Spinnen wurden so in Glasapparaturen eingebracht, daß die an ihnen vorbeistreichende Luft aufgefangen und analysiert werden konnte. Durch Anwendung einer interessanten Strategie konnten die Wissenschaftler genügende Mengen der flüchtigen Substanzen sammeln, um diese zu analysieren (Gaschromatographie, Massenspektrometrie). Die Untersuchungen von Stowe et al. bestätigten, daß Mastophora-Weibchen auf bisher unbekanntem Weg über ihren Körper flüchtige Stoffe abgeben können, die auf Männchen der Beute-Schmetterlinge attraktiv wirken (Klebetropfen und Spinnenseide zeigen keine Attraktivität). Verschiedene Proben mußten für die Analysen aufgrund der erforderlichen Mindestmenge vereinigt werden. Durch geschicktes Anlegen unterschiedlicher solcher Mischproben kann man aus den Resultaten schließen, daß die Zusammensetzung des Lockmittelgemisches zwischen den einzelnen Tieren variiert und auch bei einzelnen Tieren Änderungen unterworfen ist. Die Mischungen enthalten langkettige, ungesättigte Aldehyde bzw. Acetate. Die gefundenen Komponenten sind aus Pheromonmischungen verschiedener Schmetterlinge, die sich auch unter den Beutetieren finden, bekannt.

In diesen Beobachtungen kommt die Zwiespältigkeit im Verhalten von Lebewesen in der Natur in extremer Ausprägung zum Ausdruck. Auf der einen Seite faszinierende Konzepte und Strategien: Einsatz von Spinnenseide und Klebstoff in der Bola-Technik, und gleichzeitig eine (in anthropomorpher Redeweise) perverse Imitation von Pheromonen zur Tötung anderer Lebewesen. Ein Verständnis der Entstehung solcher Konstellationen stellt eine große Herausforderung dar.

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Literatur

Eberhard WG (1977)
Aggressive chemical mimicry by a Bola Spider. Science 198, 1173-1175.
Foelix RF (1979)
Biologie der Spinnen. Stuttgart, S. 128 und 146.
Stowe MK, Tumlinson JH & Heath RR (1987)
Chemical mimicry: bola spiders emit components of moth prey species sex pheromones. Science 236, 1635-1637.
Im Internet kann man unter dem Begriff: „bola spider“ Informationen finden.

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