Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 7. Jg. Heft 2 - Oktober 2000


Wissenschaft - Pseudowissenschaft: Ein einführender Beitrag über die Abgrenzungsschwierigkeiten
2. Teil: Was ist Pseudowissenschaft? (s.a. 1. Teil, 3. Teil)

von Michael Kämpfer

Studium Integrale Journal
7. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2000
Seite 67 - 74



Zusammenfassung: Der vorliegende Teil des Artikels widmet sich der begrifflichen Bestimmung von "Pseudowissenschaft", nachdem im ersten Teil die Grundzüge dessen nachgezeichnet wurden, was "Wissenschaft" ausmacht. Es zeigt sich dabei, daß die beiden Begriffsinhalte nicht in einer eindeutig faßbaren Weise voneinander abgrenzbar sind. Es bleibt gewissermaßen eine Grauzone bestehen. Sie enthält Phänomene, die hinsichtlich ihrer Wissenschaftlichkeit nicht klar einzuordnen sind und für welche der Begriff "Parawissenschaft" vorgeschlagen wurde.

Bis dahin ist ein Überblick gegeben, der ein besseres Verständnis der Abgrenzungsschwierigkeiten ermöglicht. Im dritten und letzten Teil des Beitrags wird am Beispiel des biogenetischen Grundgesetzes und der Grundtypen-Biologie eine praktische Anwendung der erarbeiteten Erkenntnisse versucht und ein vorläufiges Fazit gezogen.





Soll eine "Pseudowissenschaft" erkannt werden, muß man zunächst verstehen, was mit "Wissenschaft" gemeint ist. Denn der erste Begriff wird üblicherweise in negativer Abgrenzung zu Wissenschaft gewonnen. Und so beschäftigte sich der erste Teil dieses Beitrags überblicksartig mit dem, was Wissenschaft kennzeichnet. Als wohl hervorstechendste Eigenschaft gilt die sogenannte wissenschaftliche Methode. Unter dieser Arbeitsweise wird ein angemessenes, experimentelles Vorgehen verstanden, welches zu gesicherten Ergebnissen führt. Zu dieser methodischen Komponente ist in der Wissenschaftstheorie ein Kriterienkatalog entwickelt worden, der die damit verbundenen formalen, qualitativen Standards benennt. An dieser Stelle ist nachzureichen, daß diese Form der Wissenschaft keineswegs unangefochten als letztgültig akzeptiert ist, sondern immer wieder mit scharfsinniger Kritik angefragt wird. Als prominentes Beispiel sei auf Paul Feyerabend (1986) hingewiesen. Neben den methodischen Inhalten findet sich weiterhin eine paradigmatische Komponente.1 Mit Wissenschaft ist eine bestimmte Weltsicht verbunden, in der wissenschaftliche Erkenntnisse als umfassende Erklärung innerweltlicher Zusammenhänge fungieren. Im wissenschaftlich orientierten Weltbild des 20. Jahrhunderts ist dies im Wesentlichen eine naturalistische Position. Somit wird das Bild der Wissenschaft einerseits durch die wissenschaftliche Arbeitsweise und andererseits durch einen wissenschaftsphilosophischen Überbau geprägt. Das moderne Verständnis von Wissenschaft kann daher als ein historisch gewachsenes Konstrukt angesehen werden, welches den aktuellen Stand im Ringen um eine fundierte Deutung unserer Welt repräsentiert.

Für den Versuch, von der Wissenschaft her den Begriff "Pseudowissenschaft" zu bestimmen, ergibt sich daraus ein Problem. Es konnte nicht genau festgelegt werden, was unter Wissenschaft zu verstehen ist, weil der Begriff situationsbedingt verschiedene Auslegungen erfährt. Daher fällt eine inhaltliche Unterscheidung der beiden Begriffe schwer. Es existiert ein Abgrenzungsproblem.

Vor diesem Hintergrund gilt es nun den Begriff "Pseudowissenschaft" zu untersuchen. In erster Annäherung wäre darunter all das anzusprechen, was nicht Wissenschaft ist. Das klingt recht einfach, birgt aber bei genauerem Hinsehen einige Schwierigkeiten in sich. Der Philosoph Sven Ove Hansson entfaltet in einem Aufsatz (Hansson 1996) die auftretenden definitorischen Schwierigkeiten, die im folgenden kurz dargestellt werden.



Üblicherweise beginnt man mit der Etymologie eines Wortes. "Pseudo" (griech.) bedeutet wörtlich einfach "lügen, täuschen". Daraus leitet Hansson eine erste Definition ab, die unserem oben genannten Ansatz entspricht.

Definition 1: Ein Phänomen ist pseudowissenschaftlich, wenn und nur wenn es

(1) nicht wissenschaftlich ist und

(2) versucht wird, ihm einen wissenschaftlichen Eindruck zu geben.

"Phänomen" meint hier eine Sammelbezeichnung, die sowohl einzelne Ereignisse als auch eine Klasse von Ereignissen (z.B. eine Theorie) enthalten kann. Die Definition trifft allerdings nicht die meistgebrauchte Verwendung des Begriffes Pseudowissenschaft, wie sie vor allem in der wissenschaftlich-skeptischen Literatur begegnet. Dort wird nämlich auf ein bestimmtes Verständnis von Wissenschaft und den damit verbundenen Lehrinhalten Wert gelegt. Auf diesen Umstand wird weiter unten eingegangen (vgl. Def. 3). Auch in einer anderen Hinsicht greift die Definition zu kurz. Denn wissenschaftlicher Betrug würde die obigen Kriterien ebenfalls erfüllen, ohne daß man diesen als pseudowissenschaftlich bezeichnen würde. Um ein Phänomen als Pseudowissenschaft zu benennen, braucht es also mehr. Hansson verdeutlicht das an einer einfachen Fallunterscheidung.

a) Eine Biochemikerin stellt ein Experiment vor, in dem sie einem bestimmten Protein eine wichtige Funktion für die Muskelkontraktion zuschreibt. Ihre Kollegen sind jedoch der Überzeugung, daß es sich hierbei um eine Fehlinterpretation handelt, die auf einem experimentellen Fehler beruht.

b) Eine Biochemikerin veröffentlicht eine ganze Reihe zweifelhafter Experimente. Wie im Sinne von a) interpretiert sie ihre Ergebnisse konsistent im Rahmen einer neuen Theorie, ohne daß dies von anderen Wissenschaftlern akzeptiert wird.

c) Eine Biochemikerin veröffentlicht verschiedene zweifelhafte Experimente aus unterschiedlichen Bereichen. Ein Experiment dieser Reihe ist das unter a) beschriebene. Der überwiegende Teil ihrer Arbeit ist von gleicher geringer Qualität, sie vertritt aber keine eigene Theorie.

Nach allgemeinem Verständnis, so Hansson, wird man a) und c) als Fälle schlechter Wissenschaft ansehen, Fall b) dagegen als pseudowissenschaftlich bezeichnen. Was macht den Unterschied aus? Wie zu sehen, stellen a) und c) lediglich eine am Rande des wissenschaftlichen Spektrums liegende Forschungsarbeit dar, während im zweiten Fall eine vom allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Standard abweichende, gesonderte Lehrmeinung vertreten wird. Dies macht also die Schwierigkeit aus. Mit diesen Überlegungen rückt Hansson den Lehraspekt in das Zentrum des Problems und leitet zur zweiten Definition.

Definition 2: Ein Phänomen ist pseudowissenschaftlich, wenn und nur wenn es Bestandteil einer Lehre ist, die

(1) nicht wissenschaftlich ist und

(2) deren Hauptverfechter versuchen, sie als wissenschaftlich darzustellen.

Der Unterschied zur Wissenschaft wird in dieser Definition an der Lehre festgemacht. Das baut eine Spannung auf. Denn in der Regel definiert sich Wissenschaft weniger über die Lehre, sondern vielmehr über die angewandten Methoden. Einen weitereren Aspekt sieht Hansson ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Üblicherweise werden als Pseudowissenschaft auch Lehren bezeichnet, die zwar im Konflikt zur anerkannten Wissenschaft stehen, aber den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit gar nicht erheben. So betonen beispielsweise Hellseher, daß sie im Gegensatz zur Wissenschaft über alternative Wege der Erkenntnisgewinnung verfügen. Das Verständnis von Pseudowissenschaft geht daher in mindestens zwei, zueinander widersprüchliche Richtungen. Einmal versteht man darunter Praktiken, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit erheben, zum anderen Mal aber auch eindeutig unwissenschaftliche Vorgehensweisen der Erkenntnisgewinnung.

Nun kann gemäß der Definitionen 1 und 2 eine Richtung, die sich explizit außerwissenschaftlicher Praktiken bedient, gar nicht als Pseudowissenschaft bezeichnet werden. Gerade gegen diesen Bereich richtet sich aber die wissenschaftlich-skeptische Kritik besonders. Für einen solchen Skeptiker, d.h. einen Wissenschaftler konventioneller Prägung, reicht weder die etymologische Definition der Pseudowissenschaft als täuschender = falscher Wissenschaft, noch die Hervorhebung der vom akzeptierten Standard abweichenden Lehre aus. Er tritt allem entgegen, was sich gegen sein Wissenschaftsverständnis richtet, egal ob es als Wissenschaft auftritt oder nicht. Das führt zu einer dritten Definition.

Definition 3: Ein Phänomen ist pseudowissenschaftlich, wenn und nur wenn es

(1) in Konflikt zur (anerkannten) Wissenschaft steht und

(2) Bestandteil einer Lehre ist, die in Konflikt zur (anerkannten) Wissenschaft steht.

Daß beide Teile der Definition erfüllt sein müssen, wird wieder durch eine Fallunterscheidung deutlich gemacht. Wenn z.B. in einem kreationistischen Buch eine korrekte Darstellung der DNA-Struktur gegeben wird, ist Teil 2 erfüllt, Teil 1 nicht. Umgekehrt verhält es sich bei einer falschen Wiedergabe der DNA-Struktur in einem herkömmlichen Chemielehrbuch.

Diese dritte Definition liegt nun ziemlich nahe an der üblichen Verwendung des Begriffes Pseudowissenschaft - insbesondere wie ihn Skeptiker benutzen. Andererseits ist sie weit entfernt von der etymologischen Bedeutung und hat überdies einen stark szientistischen Beigeschmack, weil eine Ausgrenzung über die inhaltlich, paradigmatische Komponente versucht wird. Hansson schlägt angesichts dieses Befundes Definition 2 als vernünftige Kompromißlösung für die Bestimmung des Begriffes Pseudowissenschaft vor, in der die Betonung auf dem Lehraspekt liegt.

Neben dieser einfachen Gegenüberstellung, hier Wissenschaft - dort Pseudowissenschaft, will Hansson der Vollständigkeit halber noch die Unwissenschaftlichkeit beachtet wissen. Sie schwingt nämlich immer mit. Streicht man aus der dritten Definition den Lehraspekt, erhält man die Bedeutung des Wortes "unwissenschaftlich".

Definition 4: Ein Phänomen ist unwissenschaftlich, wenn und nur wenn es in Konflikt zur anerkannten Wissenschaft steht.

Abb. 4: Ein Versuch zur Charakterisierung von Phänomenen.

wissenschaftlich -> unwissenschaftlich
-> pseudowissenschaftlich
-> nicht-wissenschaftlich

Es lassen sich mit Hansson neben der strengen Kategorisierung in Wissenschaft und Pseudowissenschaft noch feinere Unterscheidungen in der Beurteilung von Phänomenen finden. Das Spektrum reicht von "wissenschaftlich" über "unwissenschaftlich" zu "pseudowissenschaftlich" und endet bei "nicht-wissenschaftlich" (Abb. 4). Der Unwissenschaftlichkeit gilt dabei aber das eigentliche Augenmerk. Denn hierunter können sowohl vom wissenschaftlichen Standard abweichende Lehrmeinungen, als auch schlechte Wissenschaft ohne unorthodoxen Lehraspekt verstanden werden. Während Fälschungen klar unwissenschaftlich sind, lassen sich unwissenschaftliche Anteile immer wieder auch innerhalb der anerkannten Wissenschaft finden. Für Hansson baut sich die Verteidigungshaltung der anerkannten Wissenschaft weniger an pseudowissenschaftlichen, sondern vielmehr an den unwissenschaftlichen Praktiken auf. Sie enthalten beides: Pseudowissenschaft und schlechte Wissenschaft. Ihre Unwissenschaftlichkeit ist gegenüber der Pseudowissenschaft der bedeutendere Feind, weil sie den eigenen Reihen entstammt.2

Soweit die Ausführungen von Sven Ove Hansson. Bis hierher sollte deutlich geworden sein, wie vielschichtig das Problem der Pseudowissenschaft ist. Das liegt nicht zuletzt daran, daß sich in pseudowissenschaftlichen Phänomenen mehr oder weniger große Anteile wissenschaftlicher Elemente finden. Außerdem wird auch der Begriff Wissenschaft inhaltlich unterschiedlich verstanden. Während er in Definition 2 hauptsächlich im Sinne formaler, methodologischer Kriterien benutzt wird, zielt sein Verständnis in Definition 3 auf anerkannte Lehrinhalte ab. Dies schafft Verwirrung. Was kennzeichnet die Wissenschaft in größerem Maße, die Methodik oder das Lehrgebäude?

Bei aller Schärfe des Wortes erweist sich eine klare Bestimmung des Begriffes "Pseudowissenschaft" schwieriger als man zunächst vermuten würde. Denn die dazu bisher vorgeschlagenen Kriterien reichen für eine zweifelsfreie Definition nicht aus. Die Suche nach Abgrenzungskriterien, die einen Maßstab für die Unterscheidung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft liefern können, ist nach wie vor außerordentlich schwierig (vgl. z.B. Lugg 1987).



Der Wissenschaftsphilosoph A.A. Deerksen geht angesichts dieser Problematik einen anderen Weg. Er schlägt für die Beurteilung von Pseudowissenschaft zwei voneinander unabhängige Maßstäbe vor (Deerksen 1993). Sein erster Maßstab ist das aus der Wissenschaftstheorie bekannte Falsifikationskriterium (nach Popper 1935). Hypothesen und Theorien müssen prüfbar sein, damit durch Modifikationen in der wissenschaftlichen Arbeit ein Erkenntnisfortschritt erzielt werden kann. Andernfalls würde eine Immunisierung eigener Ansichten betrieben, d.h. sie würden unangreifbar. Forscher sollten jedoch aus der Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit lernen.

Als zweiten Maßstab nennt Deerksen fundierte Kenntnisse als unverzichtbare Bedingung für eine Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft. Ohne wissenschaftliche Kompetenz, die durch eine solide Ausbildung erworben wird, ist keine Forschung möglich.

Als Vorteil dieser beiden Maßstäbe nennt er ihre prinzipielle Vorurteilsfreiheit, weil sie weder vom an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler noch von der untersuchten Theorie abhängen. Seine Maßstäbe versuchen, das spezifische Profil eines Pseudowissenschaftlers zu erfassen. Es enthält epistemische, soziale und psychologische Aspekte, wie sie sich auch in der etablierten Wissenschaft finden lassen. Diese Kriterien können dann auf andere Forscher angewendet werden. Wenn sich daraus ein negatives Profil ergibt, wäre deren Arbeit als Pseudowissenschaft charakterisiert, ohne theoretische Details aufbereiten zu müssen. Zweifellos fließt hier wieder ein gewisses subjektives Element mit ein, was die Gewichtung der Aspekte betrifft. Doch wird dies nach Deerksens Überzeugung durch die Rationalität der beiden genannten Maßstäbe gering gehalten. Ein schwerwiegenderes Problem ist dagegen die wissenschaftsethische Komponente von Deerksens Ansatz. Normalerweise stehen im Forschungsprozeß die verschiedenen Theorien(systeme) zur Disposition und nicht die Person des Wissenschaftlers selbst. Mit Deerksen würde aber gleich der ganze Mensch diskreditiert und negativ etikettiert. Dies darf jedoch nicht das Ziel einer Abgrenzungsdebatte zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft sein. Allerdings kann nicht übersehen werden, daß sich durchaus hüben wie drüben einige Autoren auf diesem niederen Niveau bewegen.

Die mit Hilfe der Maßstäbe herausgearbeiteten Mängel am Profil des Forschers nennt Deerksen reißerisch "Sünden", weil sie der wissenschaftlichen Methode entgegenstehen. Deerksen zählt die folgenden sieben Sünden auf (siehe Abb. 5), die erst in ihrer Summe eine Theorie oder Hypothese als Pseudowissenschaft disqualifizieren.



Abb. 5: Die "sieben Sünden" der Pseudowissenschaft nach Deerksen.


  1. Der Mangel an ordentlicher Beweiskraft
  2. Unbegründete Immunisierungen
  3. Die Urverlockung der spektakulären Übereinstimmung
  4. Die magische Methode
  5. Die Einsicht des Eingeweihten
  6. Die alles erklärende Theorie
  7. Übertriebener und unkritischer Anspruch
  8. Erstellt auf Basis der beiden Maßstäbe Falsifizierbarkeit und fundierter Kenntnisse

Die erste Sünde: Der Mangel an ordentlicher Beweiskraft.

Den Anschein ordentlicher Wissenschaftlichkeit erhält eine Pseudowissenschaft dadurch, daß der Pseudowissenschaftler auf verläßliche Erkenntnis, gewonnen durch verläßliche Methoden, verweist, obwohl dies keineswegs verwirklicht wird. Mit diesem Mangel an einer fundierten Untermauerung der Theorie bleibt diese aber Spekulation. Die empirische Basis der Theorie ist von entscheidender Bedeutung. Ist sie nicht gewährleistet, muß die Theorie vorerst zurückgestellt werden.3

Die zweite Sünde: Unbegründete Immunisierungen.

Eine Theorie wird gegenüber einer Kritik immunisiert, wenn kritische Argumente mehr oder weniger aufwendig, aber ohne ausreichende Begründung, abgewiesen werden, während man die eigene Auffassung stützende Argumente gezielt fördert. Damit sind keine Fälle denkbar, an denen die Theorie jemals scheitern oder an denen sich ihre Beweiskraft zeigen könnte.

Die dritte Sünde: Die Urverlockung der spektakulären Übereinstimmung.

Hierbei handelt es sich um den methodologischen Fehler, einer spektakulären Übereinstimmung mit der Theorie rein gefühlsbedingt eine größere Bedeutung zuzumessen als ihr möglicherweise zukommt. Koinzidenzen bilden zwar den Kern vieler wissenschaftlicher Theorien, weil sie ein Indiz für die Nicht-Zufälligkeit der Ereignisse darstellen. Aber es muß geprüft werden, ob auch alternative Erklärungen plausibel sind.

Die vierte Sünde: Die magische Methode.

Zusätzlich zu anerkannten wissenschaftlichen Methoden findet sich bei Pseudowissenschaftlern oft eine besondere Methode, die die benötigten Daten liefert. In verblüffender Einfachheit, bis dato unentdeckt von anderen Wissenschaftlern, werden die Ergebnisse gewonnen. Die Bequemlichkeit dieser Methode macht sie verdächtig.

Die fünfte Sünde: Die Einsicht des Eingeweihten.

Diese Sünde ist eng mit der vierten Sünde verbunden. Gerade wegen der magisch anmutenden Einfachheit der Methode wäre ein leichtes Verständnis ihrer Inhalte zu erwarten. Tatsächlich findet es sich jedoch, daß offenbar nur ein Kreis besonders Eingeweihter dazu in der Lage ist, diese Methode durchzuführen. Nur er kann die Wahrheit erkennen. Dieser Anspruch kann auf zwei Arten verstanden werden. Einmal bedeutet ein Nicht-Eingeweiht-Sein einen Mangel an Wissen und Übung. Das muß nicht weiter schlimm sein. Jede Wissenschaft bzw. wissenschaftliche Methodik muß schließlich erst erlernt werden. Die zweite Art des Verständnisses ist diejenige, die im Fall des Pseudowissenschaftlers zum Tragen kommt. Hier geht es nämlich darum, daß nur derjenige in den Kreis der Eingeweihten vorstoßen kann, der z.B. alte Vorurteile oder Neurosen ablegt. Erst dann gelangt er auf eine Erkenntnisstufe, die ihm die echte, die eigentliche Wahrnehmung der Sachverhalte ermöglicht.

Die sechste Sünde: Die alles erklärende Theorie.

Weiche Bewertungskriterien einer Theorie führen dazu, daß schier unendliche Erklärungsmöglichkeiten offen stehen. Die uneingeschränkte Erklärungskraft einer Theorie kommt nach Popper jedoch der Unfalsifizierbarkeit gleich. Denn mögliche falsifizierende Aussagen können sofort wegerklärt werden, die Theorie wird unangreifbar. Nicht alle Pseudowissenschaftler erheben jedoch solche generalisierenden Ansprüche.4

Die siebte Sünde: Unkritischer und übertriebener Anspruch.

Pseudowissenschaftler erheben mitunter Ansprüche, die sie auf lange Sicht nicht erfüllen können. Das trennt sie letztendlich (idealerweise) auch von regulären Wissenschaftlern. Der übertriebene Anspruch kann in zwei Kategorien unterteilt werden. Einmal wird eine größere Verläßlichkeit der Theorie vorgetäuscht als es die Faktenlage zuläßt. Zum anderen wird ihr ein wichtigerer Status zugemessen als ihr in Relation zu anderen Theorien zukommt. Beides findet sich allerdings auch innerhalb der etablierten Wissenschaft. Doch werden diese Strömungen dort eher klein gehalten, was in einem sozialen Aspekt begründet liegt. Denn übertriebene Ansprüche können dort von den Experten schnell als schlechte Wissenschaft erkannt werden. Gleichwohl gehen manche Wissenschaftler bei der Popularisierung ihrer Arbeit weniger zurückhaltend vor. Beispielsweise sind viele Hypothesen und Auffassungen innerhalb der Soziobiologie weniger auf Fakten gegründet als vielmehr auf ein elegantes Erklärungsschema, worin sich die persönliche Neigung des Autors widerspiegelt (vgl. Wilson 1998). Oder es wird in der Darstellung makroevolutionärer oder kosmologischer Theorien oft vergessen, auf deren spekulativen Aspekte hinzuweisen. Trotz übertriebener Ansprüche bezeichnet man jene Theorien aber nicht als pseudowissenschaftlich.

Bereits flüchtiges Nachdenken bestätigt, daß sich die "sieben Sünden" zweifellos in den Disziplinen wiederfinden, die ohne Zögern als Pseudowissenschaft bezeichnet werden, wie z.B. das Rutengehen. Eher überraschend entlarvt Deerksen jedoch einen hochgerühmten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts als Pseudowissenschaftler. Es handelt sich um niemand geringeren als Sigmund Freud. Schon Karl R. Popper hielt dessen Psychoanalyse für eine Pseudowissenschaft.

Paradebeispiel für Immunisierung in Verbindung mit der ersten Sünde ist Freuds Theorie vom Ödipuskomplex. Die theoretische Vorgabe lautet, daß alle Männer einen Ödipuskomplex haben. Bejaht ein Patient die Frage danach, bestätigt seine Antwort die Theorie. Verneint er jedoch, wird dies mit einer Verdrängung erklärt. Oft genug führte die fortdauernde Befragung des Patienten auch dazu, daß er den Komplex schließlich zugab. Ja und Nein stützen also in jedem Fall die Theorie. Es existieren keine Fälle, an denen die Theorie jemals scheitern könnte. An dieser Stelle wird die Gültigkeit des ersten Maßstabs besonders deutlich. Die mögliche Fehlbarkeit einer Theorie hat für den Sachverhalt des Ödipuskomplexes überhaupt keine Relevanz. Sigmund Freud wird in diesem Bereich eindeutig als Pseudowissenschaftler entlarvt. Denn seine Behauptungen zu der Wahrheit oder Verläßlichkeit seiner Theorie bleiben unbegründet. Kritiker, die Validität einforderten, wurden abgeblockt, indem er ihnen z.B. unterstellte, sie könnten die kindliche Sexualität nicht erkennen, weil sie ihre eigene längst verdrängt hätten.

Auch andere Bereiche in Freuds Arbeit erweisen sich als pseudowissenschaftlich im obigen Sinne. Seine Gesetze zur Traumdeutung sind so unscharf formuliert, daß nahezu alle Interpretationen zur Stützung der theoretischen Vorgabe möglich werden. Insofern ist jede beliebige Erklärung möglich. Beispielsweise erlaubt seine Symbolanalyse durch die Lockerheit der methodischen Vorgaben eine freie Interpretation. Dasselbe Symbol kann sogar gegensätzlich gedeutet werden. Über die richtige Sicht der Dinge verfügen natürlich nur die im Sinne Freuds geschulten Psychoanalytiker. Kritiker können problemlos abgewiesen werden, indem man ihnen mangelndes Verständnis für die Sache vorhält: eine Immunisierungsstrategie.5

In der Tat läßt sich dieses Schema bei Sigmund Freud studieren. Vorbehalte gegenüber der Psychoanalyse versuchte er als psychologisch bedingt zurückzuweisen (Freud 1917). Die Motivation für eine Kritik liegt nach ihm nicht in tatsächlich zweifelhaften Elementen der Theorie begründet, sondern in der Person des Kritikers selbst. Dieser reagiert auf die Konfrontation durch die Psychoanalytiker mit einer starken Abwehr, weil die psychologische Forschung dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal "Herr im eigenen Hause" sei. Dies versteht Freud als eine Demütigung, als empfindliche Kränkung der naiven Eigenliebe des Menschen, womit er die mitunter heftigen Angriffe gegen die Psychoanalyse erklärt. Er sieht sich hier in guter Gesellschaft mit Nikolaus Kopernikus und Charles Darwin. Die wissenschaftliche Tätigkeit dieser Männer führte auch zu einer Kränkung des Menschen. Dieser rückte die Menschheit mit dem heliozentrischen Weltbild aus dem Mittelpunkt des Kosmos heraus, jener reduzierte den Menschen auf ein Tier unter Tieren als eines der vorläufigen Endprodukte evolutiver Ketten im Stammbaum der Primaten.6



Die bisherigen Ergebnisse bei der Untersuchung des Abgrenzungsproblems mögen das grundlegende Verständnis für die Schwierigkeiten zwar vertieft haben, sind aber doch unbefriedigend. Es wird deutlich, daß eine klare Unterscheidung in Wissenschaft und Pseudowissenschaft zwar wünschenswert, aber in der Praxis nicht immer durchführbar ist. In Tab. 1 im ersten Teil des Beitrags begegnete z.B. das Phänomen der Kugelblitze (Abb. 6). Kugelblitze gelten als etwas Merkwürdiges. In der Geschichte tauchen sie unter anekdotischen Umständen immer wieder auf, ohne daß sie physikalisch erklärbar waren. Die Beschäftigung mit ihnen galt lange Zeit als unseriös. Erst am Ende dieses Jahrhunderts hat sich die Kugelblitzforschung etablieren können.7 Wie an diesem Beispiel zu sehen, entwickelte sich ein Phänomen von pseudowissenschaftlichem Charakter über eine Zeit der unentschiedenen Beurteilung hinweg zu einer seriösen Wissenschaft. Es gibt somit eine dritte Klasse von Phänomenen, die (noch) zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft angesiedelt sind. Dafür wurde der Name "Parawissenschaften" eingeführt, weil sie neben (griech.: para) den etablierten Wissenschaften stehen.8 Der Begriff hat allerdings keine große Breitenwirkung entfaltet, weil offensichtlich nur wenig Interesse an einer vermittelnden Kennzeichnung vorhanden ist. Wozu noch von Parawissenschaften sprechen und auf diese Weise in einen Bereich Seriösität hineinlegen, der vom normalen Wissenschaftsbetrieb doch abgegrenzt sein soll? Parawissenschaften beschäftigen sich jedenfalls mit Anomalien in den verschiedenen Einzelbereichen, die solange beachtet werden sollten, wie ihr Status nicht zweifelsfrei geklärt ist.


Abb. 6: Historische Darstellung eines durch ein Zimmer schwebenden Kugelblitzes. (Aus: Spektrum der Wissenschaft, Mai 1991, S. 26)

Abb. 6

Ganz in diesem Sinne geht Gerald L. Eberlein davon aus, "daß nämlich Wissenschaft trotz ihres universalistischen Charakters weder einen monopolistischen, noch gar einen absolutistischen Anspruch erhebt - dann wäre sie nämlich Ideologie. [...So] wird man als Nicht-Monopolist und Nicht-Wissenschaftsideologe wissenschaftliche Randerscheinungen anerkennen müssen." Und er definiert: "Parawissenschaften weichen also hinsichtlich Objekt, Methodik und Erklärung vorsätzlich und zielstrebig von den Schul- oder orthodoxen Wissenschaften ab und sind daher wertfrei als deviante, abweichende, Wissenschaften zu bezeichnen" (Eberlein 1991, S. 111 f.). Er rechnet sie dem Erkenntnissystem modernisierter Gesellschaften zu.

Gleichwohl blieben Zweifel bestehen. Allein eine sorgfältige wissenschaftliche Erforschung der jeweilig geäußerten Behauptungen und Ansprüche könne eine Entscheidung herbeiführen, nicht bereits eine Vorentscheidung aufgrund der Abweichung vom Standard. Das Wort Pseudowissenschaft ist für Eberlein mit zu vielen Vorurteilen behaftet. Dies komme daher, daß sich Wissenschaftstheoretiker und empirische Schulwissenschaftler "aufgrund orthodoxer Methodenkriterien im Besitz der alleinigen, wissenschaftlichen Wahrheit" glaubten (Eberlein 1991, S. 112). Eberlein plädiert deshalb für einen streng durchgeführten, unvoreingenommenen Hypothesenvergleich.

Ein derartiges Unterfangen kann sich allerdings als außerordentlich schwierig erweisen, insbesondere wenn vielleicht eine direkte experimentelle Prüfung gar nicht möglich und der Wissenschaftler auf die Beurteilung von Indizien angewiesen ist. Kann man z.B. die in Tab. 3 aufgezählten Hypothesen und Theorien anhand der oben erarbeiteten Kriterien problemlos überprüfen? Im Blick auf diese unvollständige Zusammenstellung wird schnell klar, daß in den meisten Fällen kaum Pseudowissenschaftlichkeit unterstellt werden würde. Der zweifelsfreie Status einer empirisch belegten wissenschaftlichen Tatsache läßt sich jedoch auch nicht einfach bestimmen. Denn viele der aufgezählten Erklärungen sind auf theoriegeleitete Interpretationen angewiesen, d.h. nicht alle sind experimentell direkt zugänglich und damit falsifizierbar. Es bleibt mithin eine gewisse Erkenntnislücke bestehen, in der genügend Raum für eine Ausdeutung des Erkenntnisstandes in einem bestimmten Weltbild vorhanden bleibt. Diesen Raum kann man sich auf der einen Seite von der Pseudowissenschaftlichkeit und auf der anderen Seite von der Wissenschaftsideologie begrenzt vorstellen.


Tab. 3: Auflistung einiger Hypothesen und Theorien aus Naturwissenschaft, Philosophie und Medizin.


Hypothese / TheorieBegründer oder Hauptvertreter

Akupunkturz.B. Carl-Hermann Hempen, Int. Ges. für Chinesische Medizin
Atavismus-TheorienH. de Vries
Biogenesenach Manfred Eigen
Biogenese mit RNAnach Francis Crick
Biospeciesnach Ernst Mayr
Big bang-TheorieAlbert Einstein u.a.
Big bounce-TheorieWolfgang Priester und Hans-Joachim Blome
Biogenetisches GrundgesetzErnst Haeckel
DMA-ComputerLeonard M. Adleman
Drei-Welten-HypotheseKarl R. Popper und John C. Eccles
"Egoistische Gene" und Mem-TheorieRichard Dawkins
Endosymbionten-HypotheseA.F.W. Schimper
Evolution hydraulischer KonstruktionenWolfgang Fr. Gutmann
Gamma-BlitzeGeorge Djorgovski
Grundtypen-BiologieFrank A. Marsh
Holismus-HypothesenW.V.O. Quine oder Hans Primas
KladismusWilli Hennig
Neutralitätstheorie der EvolutionMotoo Kimura
Omega-Punkt-TheorieFrank J. Tipler
Out-of-Africa-HypothesenMary D. Leakey u.a.
PanspermieFred Hoyle
PsychoanalyseSigmund Freud
Punctuated equilibriumSteven Jay Gould
Regel der rekurrenten VariationW.E. Lönnig
SETI (Search for Extra Terrestrial Intelligence)Carl Sagan
Soziobiologie als SyntheseEdward Osborne Wilson
Steady-State-TheoryFred Hoyle
Supergravitationz.B. Eugene Cremmer, Bernard Julia und Joel Scherk
Superstring-TheoryMichael Green u.a.
SynergetikHermann Haken
Synthetische Theorie der EvolutionJulian S. Huxley u.a.
TelomtheorieWalter Zimmermann
Ultimate-Observer-HypotheseJohn D. Barrow und Frank J. Tipler
Ungleichgewichts-Thermodynamikllya Prigogine
UrsuppenStanley Miller u.a.
Verschränkte PhotonenAnton Zeilinger
WurmlöcherJohn Archibald Wheeler/Kip Thorne



An dieser Stelle tritt die enge Verzahnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit einer Weltdeutung wieder zutage. Die Ausdeutung lückenhafter Forschungsergebnisse geschieht nämlich innerhalb eines bestimmten Koordinatensystems, welches durch die individuellen Hintergrundüberzeugungen des jeweiligen Forschers oder der Gesellschaft vorgegeben wird. Aus diesen Überlegungen läßt sich die These ableiten, daß nicht die wissenschaftlichen Daten für sich eine definierte Weltsicht erzwingen, sondern vielmehr ontologische Vorgaben9 innerhalb eines historischen Zeitabschnittes die Sicht der Dinge bestimmen. Diese These ließe sich auch auf andere Bereiche übertragen und beispielsweise unter soziologischen Aspekten betrachten.

In der Abgrenzung von Wissenschaft zur Pseudowissenschaft geht es daher nicht bloß um konkurrierende Theorien und Hypothesen, sondern auch um die Wahrheit einer Auffassung. Denn Wissenschaft vermittelt nicht nur Ordnung und Sicherheit, sondern beinhaltet häufig einen universalen Wahrheitsanspruch. "Wer heute in einer Lebenswelt, die nicht nur durch eine moderne technische Zivilisation geprägt ist, sondern auch ihre Welt- und ihre Menschenbilder weitgehend von den (vor allem Natur-) Wissenschaften beeinflußt weiß, wird wohl auf die Frage, was unter Wissenschaft zu verstehen sei, vor allem auf den Anspruch eines bestimmten Geltungstyps verweisen: Wissenschaftliche Ergebnisse sollen allgemeingültig, objektiv, nachprüfbar, erfahrungsgestützt, logisch und ähnliches sein. Mit anderen Worten, den Wissenschaften wird die Rolle zugedacht, Wahrheiten besonderer Güte hervorzubringen" (Janich 1996, S. 56). Auf eine sicherlich sehr interessante Betrachtung des Wahrheitsbegriffes muß aus Gründen des Umfangs verzichtet werden. Fest steht aber, daß wissenschaftlichen Aussagen heutzutage der höchste Wahrheitswert zugemessen wird. Dieser Anspruch ist praktisch immer in irgendeiner Form im Verständnis von Wissenschaft vorhanden. Alle Aussagen, die über die Welt getroffen werden, müssen sich an der wissenschaftlich orientierten Weltsicht messen lassen. Andernfalls sind sie durchgefallen oder zumindest von geringerem Wahrheitsgehalt. Die Position des Naturalismus wird so faktisch als die alleinige, rational gerechtfertigte Weltsicht angeboten.10 Das geht sogar soweit, Menschen im weitesten Sinne psychische Defekte zu unterstellen, wenn sie diesem Anspruch nicht folgen: "Offensichtlich können viele Menschen nicht mit 'wissenschaftlichen Wahrheiten' leben und versuchen daher, diese entweder zu existentiellen Krücken umzufunktionieren oder ihnen pseudowissenschaftliche Lehren entgegenzustellen" (Wuketits 1998, S. 82).

Die Erkenntnis einer Verabsolutierung von Wissenschaft ist nicht neu. Der Begriff Pseudowissenschaft kann von daher als Kampfbegriff gegen alle Auffassungen eingesetzt werden, die nicht auf der eigenen Linie liegen. Mit diesem Etikett versehene Interpretationen wissenschaftlicher Daten bzw. Forschungsrichtungen verlieren natürlich sofort alle wissenschaftliche Reputation, auch wenn sie empirisch begründbar sein mögen. Ihre Abgrenzung von tatsächlich pseudowissenschaftlichen Praktiken ist kaum mehr möglich. Der Wissenschaft selbst entsteht dadurch ebenfalls ein Schaden, weil sie auf unlautere Weise instrumentalisiert wird. Die Macht von Hintergrundüberzeugungen sollte nicht unterschätzt werden. Während sie in pseudowissenschaftlichen Systemen wohl relativ leicht zu kennzeichnen sind, fällt ihre Darstellung im Bereich der etablierten Wissenschaft schwer, weil ein zutiefst menschlicher Wesenskern berührt wird.

Bis hierher wurde ein Überblick über die Bedeutungsinhalte der Begriffe "Wissenschaft" und "Pseudowissenschaft" gegeben und deren enge Verflechtung mit bestimmten Hintergrundüberzeugungen festgestellt. Damit sollte ein besseres Verständnis der Abgrenzungsschwierigkeiten möglich sein. Die erarbeiteten Erkenntnisse sollen im letzten Teil (in der kommenden Ausgabe) an konkreten Fällen geprüft werden. Zunächst wird das biogenetische Grundgesetz als historisch orientiertes Thema aufgegriffen und im Anschluß das aus neuerer Zeit stammende Konzept der Grundtypen-Biologie behandelt.



Anmerkungen

  1. Paradigma (griech.: Beispiel, Muster) bedeutet bei Thomas S. Kuhn (1979) die für ein Wissenschaftsgebiet in einer bestimmten Zeitspanne geltenden, unhinterfragbaren Basisannahmen bzw. Überzeugungen.
  2. Dies ist durchaus ein diffiziles Problem, wie der 1998 aufgedeckte Betrugsfall des Krebsforschers Friedhelm Herrmann und seiner ehemaligen Mitarbeiterin Marion Bach zeigt, in dem experimentelle Daten gefälscht wurden. Zur Schwierigkeit der Diskussionslage vgl.: Spektrum der Wissenschaft: Forum "Betrug in der Wissenschaft": Betrüger oder Schlitzohren - die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Dezember 1998, S. 72-82.
  3. Darauf, daß der theoretische Ansatz nicht gleich verworfen werden muß, wenn er eine schmale empirische Basis besitzt, hat Lakatos (1974) hingewiesen. Er fordert eine Art "Jugendschutz" für neue Theorien, damit ausreichend Zeit zur Verfügung steht, sie zu entfalten und auszubauen. Eine anfangs geringe Datenmenge sei unvermeidlich.
  4. Die hier gemeinte alles erklärende Theorie darf nicht mit den physikalischen Arbeiten zu einer großen vereinheitlichenden Theorie (GUT für Great Unifying Theory) bzw. einer Theorie-für-alles (TOE für Theory of Everything) verwechselt werden.
  5. Mittlerweile hat die Psychotherapie wohl viele der von Freud heraufbeschworenen Ideologisierungen ablegen können. Vergleiche dazu z.B. Grawe, Klaus; Donati, Ruth & Bernauer, Friederike (1994) Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Göttingen: Hogrefe.
  6. Ein guter Überblick über die drei Freudschen Kränkungen sowie weitere Kränkungen des menschlichen Selbstwertes findet sich bei Gerhard Vollmer: "Die vierte bis siebte Kränkung des Menschen - Gehirn, Evolution und Menschenbild", in: Grabes H. (1992) Hrsg.: Wissenschaft und neues Weltbild, Gießen.
  7. Nach den Ergebnissen der Forscher um Antonio Ranada (Complutense-Universität, Madrid) "können Kugelblitze stabil sekundenlang durch die Luft schweben, weil das ionisierte Gas in ihrem Zentrum durch einen magnetischen Käfig aus senkrecht zueinander orientierten Feldlinien eingeschlossen bleibt. Erst wenn beim Abkühlen des Plasmas die Leitfähigkeit und damit die Magnetfeldstärke sinkt, explodiert die Kugel." In: Spektrum der Wissenschaft, November 1998, S. 40, die Meldung "Kugelblitze enträtselt?"
  8. Einen Überblick über den Bereich der Parawissenschaften gibt Gerald L. Eberlein (1995) "Kleines Lexikon der Parawissenschaften." (Beck'sche Reihe) München: Beck.
  9. Ontologie (vom griech. on = seiend und logos = Lehre) ist im weitesten Sinne die Lehre vom Sein bzw. Seienden als solchem. Ontologische Vorgaben meint somit bestimmte Vorstellungen, die sich von dem, was ist und wie dieses Sein ist, gemacht werden.
  10. Vgl. Bernulf Kanitscheider und Ulrich Lüke: "Streitgespräch über Wissenschaft und Religion" in Spektrum der Wissenschaft, Juni 2000, S.82ff.


Literatur

  • Deerksen A. A. (1993) The Seven Sins Of Pseudo-Science. In: Journal for General Philosophy of Science Vol. 24, No. 1, p. 17-42.
  • Eberlein Gerald L. (1991) Schulwissenschaft - Parawissenschaft - Pseudowissenschaft. In: ders. (Hrsg.) Schulwissenschaft, Parawissenschaft, Pseudowissenschaft. Stuttgart: Hirzel, S. 109-118.
  • Feyerabend Paul (1986) Wider den Methodenzwang. 1. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
  • Freud Sigmund (1917) Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. In: ders.: Gesammelte Werke Bd. XII (Werke aus den Jahren 1917-1920). Frankfurt/Main: S. Fischer, 1947, S. 7-11.
  • Hansson Sven Ove (1996) Defining Pseudoscience. In: Philosophia naturalis 33, Heft 1, S. 169-176.
  • Janich Peter (1996) Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung. (Beck´sche Reihe) München: Beck.
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Studium Integrale Journal 7. Jg. Heft 2 - Oktober 2000