Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 7. Jg. Heft 1 - April 2000


Mikroben unter dicker Eisschicht - Modell für extraterrestrisches Leben

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
7. Jahrgang / Heft 1 - April 2000
Seite 39 - 40



In der Antarktis wurden bisher fast 80 Seen unter dem Eisschild mit Echoerkundung aus der Luft entdeckt. Der größte davon ist Lake Vostok, mit einer Fläche von ca. 14.000 km² (das entspricht etwa 26 mal der Fläche des Bodensees) und einer maximalen Tiefe von ca. 670 m (bei einem Volumen von ca. 1800 km³). Er liegt unter einer 3-4 km dicken Eisdecke. Flüssiges Wasser kann in dieser Region aufgrund der Wärme aus dem Erdinnern, des Drucks und der Isolierung durch das überlagernde Eis vorkommen. Die Tiefbohrungen im Eis der Forschungsstation, Lake Vostok, Antarktis, waren bereits früher Anlaß zu aufsehenerregenden Diskussionen. Aus den oberen 3300 m der Bohrkerne wird das Paläoklima der letzten 400.000 Jahre abgeleitet, dabei lassen sich die vier Kalt- und Warmzeiten erkennen. Im Bereich zwischen 3311 m und 3538 m Tiefe scheint das Eis durch dynamische Prozesse gestört. Die Tiefbohrung ist bis auf 3623 m niedergebracht und steht damit ca. 120 m oberhalb der Seeoberfläche.

Nun haben Jouzel et al. (1999) aufgrund von Analysen an Eisbohrkernen Hinweise gefunden, daß der See von einer ca. 200 m dicken Eisschicht aus gefrorenem Seewasser bedeckt ist.

Das Profil der Bohrkerne zeigt im unteren Bereich eine scharfe, 40 cm dicke Übergangszone (in einer Tiefe von 3538,3 bis 3538,7 m). Jouzel et al. untersuchten Kristallgröße, elektrische Leitfähigkeit, den Gesamtgasgehalt des Eises und die Anzahl der im Eis eingeschlossenen festen Partikel. Vor allem aber den Verlauf der Deuterium- (2H) und Sauerstoff- (18O) Isotope interpretieren die Autoren als Hinweis darauf, daß die 3750 m unter dem Eis vermutete Wasseroberfläche von einer Eisschicht bedeckt ist, die nicht wie das darüberliegende Eis aus Gletschereis, sondern aus gefrorenem Seewasser besteht.

Gesteigertes Interesse weckt diese Veröffentlichung dadurch, daß sie zusammen mit zwei geomikrobiologischen Arbeiten erschienen ist. Priscu et al. (1999) analysierten den Abschnitt 3588,995m bis 3589,435 m. In geschmolzenen Bohrkernproben dieses Abschnitts untersuchten sie mittels Fluoreszenzmikroskopie und Elektronenmikroskopie (SEM) die Verteilung von Mikroben, sie fanden dabei Zelldichten von 2,8 x 10³ bis 3,6 x 104 Zellen pro Milliliter. Molekularbiologische Untersuchungen ergaben Hinweise auf alpha- und beta-Proteobakterien, sowie auf Actinomyceten. Bisher ergaben Stoffwechseluntersuchungen keine Hinweise auf biologische Aktivität.

Karl et al. untersuchten eine Bohrkernprobe aus 3603 m Tiefe. Mittels mikroskopischer (Fluoreszenz, SEM) und Durchflußcytometrie bestimmten sie die Zelldichte in der entsprechenden Schmelze mit 2 - 3 x 10² (mikroskopisch) bzw. 5 - 7 x 10² (cytometrisch). Die Bestimmung von Membranbestandteilen (Lipiopolysaccharide, Bestandteil der Zellmembranen in Gram-negativen Bakterien) bestätigten diese Größenordnung, ATP(Adenosin-5´-triphosphat)-Bestimmungen waren (vermutlich aufgrund der niedrigen Nachweisgrenze) negativ. Biologische Aktivität konnte durch die Veratmung von 14C- markiertem Acetat und Glucose demonstriert werden. Sowohl Priscu et al. als auch Karl et al. mutmaßen, daß es sich bei Lake Vostok um den nährstoffärmsten Lebensraum der Erde handeln könnte. Wie auch Jouzel et al. stellen sie abschließend Spekulationen darüber an, daß er als irdischer Vergleich zu anderen partiell eisbedeckten Himmelskörpern verstanden werden könnte und daß man z.B. auch auf dem Jupitermond Europa Spuren von mikrobiellen Lebensformen vermuten könnte.

Vincent (1999) steht solchen Spekulationen in einem einleitenden Beitrag skeptisch gegenüber, wenn er ausführt, daß neben einigen Ähnlichkeiten auch radikale Unterschiede hinsichtlich vieler Eigenschaften, einschließlich chemischer Zusammensetzung, vorliegen und biologische Parallelen unwahrscheinlich seien.



Literatur

  • Jouzel J, Petit JR, Souchez R, Barkov NI, Lipenkov VY, Raynaud D, Stievenard M, Vassiliev NI, Verbeke V & Vimeux F (1999) More than 200 meters of lake ice above the subglacial Lake Vostok, Antarctica. Science 286, 2138-2141.
  • Karl DM, Bird DF, Björkman K, Houlihan T, Shackelford R & Tupas L (1999) Microorganisms in the accreted ice of Lake Vostok, Antarctica. Science 286, 2144-2147.
  • Priscu JC, Adams EE, Lyons WB, Voytek MA, Mogk DW, Brown RL, McKay CP, Takacs CD, Welch KA, Wolf CF, Kirshtein JD & Avci R (1999) Geomicrobiology of Subglacial ice above Lake Vostok, Antarktica. Science 286, 2141-2144.
  • Vincent WF (1999) Icy life under hidden lake. Science 286, 2094-2095.
  • In BioScience 49 (12), 1999 werden verschiedenste Aspekte des Ökosystems Trockentäler in der Antarktis in fünf Artikeln beschrieben; s. auch Studium Integrale Journal 2 (1998), 98-99.


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