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Studium Integrale Journal
Das Argument der UnvollkommenheitDer Autor beschäftigt sich zunächst mit der Auffassung vieler Biologen, das Leben sei so beschaffen, daß es offensichtlich auf einen evolutiven Ursprung verweise. Als Belege für diese Sicht werden neben den einschlägigen "Evolutionsbeweisen" vor allem Beispiele von Unvollkommenheiten der Natur angeführt: Rudimentäre Organe, scheinbar unverständliche ontogenetische Entwicklungsabläufe oder funktionell scheinbar nicht erklärbare Ähnlichkeiten bei Lebewesen. Daraus wurde geradezu ein "Argument aufgrund von Unvollkommenheit" gemacht. Dieses Argument versteht sich nicht primär als Beleg für Evolution, sondern als Indiz gegen Schöpfung, denn - so wird argumentiert - ein Schöpfer würde keine Unvollkommenheiten in der Natur erschaffen. Von dieser Argumentation hat bereits Charles Darwin reichlich Gebrauch gemacht. Stephen J. Gould spricht in diesem Zusammenhang vom "Panda-Prinzip". Benannt ist es nach dem "Daumen" des Panda, der anatomisch gar kein Daumen ist, sondern aus dem radialen Sesambein der Hand gebildet ist. Dieser zusätzliche Daumen bildet einen sechsten Finger, mit dessen Hilfe die Pandas sehr geschickt Früchte bearbeiten können. Warum aber ist der Daumen nicht so konstruiert wie beim Menschen, weshalb ist diese seltsame Konstruktion eines sechsten Fingers verwirklicht? "Die beste Lösung eines Ingenieurs wird von der Geschichte verhindert. ... Der Sesambein-Daumen gewinnt keinen Preis in einem Ingenieurswettbewerb", schreibt Gould (1989, 24). Der ursprüngliche Daumen sei durch die vorlaufende Evolution auf eine andere Rolle verpflichtet, aus der er nicht entlassen werden konnte, so daß ein vergrößerter Handwurzelknochen als Ersatz verwendet werden mußte. Solche scheinbar nur zweitbesten Lösungen und seltsamen Konstruktionen versteht nun Gould als untrüglichen Hinweis auf die evolutive Entstehung. Die (mutmaßlich) nicht perfekten Konstruktionen sind es, die auf Evolution hinweisen, nicht die perfekten, denn Perfektion lasse sich ebensogut mit einem Schöpfungsglauben vereinbaren (Gould 1989, 39). Unvollkommenes dagegen sei mit einem Schöpfungsglauben unvereinbar. Diese Argumentation findet sich auch bei zahlreichen anderen Evolutionsbiologen. Gould spricht geradezu von einer "Botschaft" des Lebens: Über den Organismus schreibt er: "In seiner Form und in seinem Verhalten verkörpert er eine allgemeine Botschaft, die wir nur lesen lernen müssen. Die Sprache, in der seine Lektionen abgefaßt sind, ist die der Evolutionstheorie." (Gould 1989, 9). Abgesehen von der schwierigen Frage, wie man Unvollkommenheiten in der Natur erkennen kann (auch beim Panda ist das angesichts der faszinierenden Geschicklichkeit seiner Hand nicht evident), beruht diese Argumentation stillschweigend auf einem "Entweder - Oder": Entweder Schöpfungsglaube oder Evolutionslehre - und zwar steht ein ganz bestimmter Schöpfungsglaube im Hintergrund, nämlich der Glaube von einer heutigen perfekten Schöpfung. (Am Rande sei vemerkt, daß diese undifferenzierte Form der Schöpfungsvorstellung nicht der biblischen entspricht.) Walter J. ReMine setzt an dieser Stelle an. Die Evolutionstheorie würde die Handkonstruktion des Panda gar nicht vorhersagen, daher könne sie nicht als Beleg für Evolution gelten. ReMine geht aber noch viel weiter und glaubt, aus der Konstruktion der Lebewesen eine der Botschaft Goulds genau entgegengesetzte Botschaft herauslesen zu können: eine "Nachricht des Lebens" ("Biotic Message"), die besagt, daß das Leben gerade nicht durch Evolution entstanden sei. Wie kann es zu derart gegensätzlichen Einschätzungen kommen? |
Die Message TheorieDer Kerngedanke der "Message-Theorie" ReMines hat eine einfache Struktur:
ReMine glaubt sogar, daß die Lebewesen bewußt so konstruiert wurden, daß an ihnen diese Lebensbotschaft erkannt werden kann, und macht sich Gedanken darüber, wie die Lebewesen und ihre Vielfalt gebaut werden mußten, damit das Ziel, mit ihnen die Lebensbotschaft zu schicken, erreicht werden kann. Seine Argumentationsweise soll beispielhaft am Phänomen der Formenvielfalt und der Ähnlichkeit der Lebewesen vorgestellt werden. ReMine stellt sich die Frage, wie ein Designer die Merkmale der Lebewesen auf die Organismen verteilen muß, damit das Merkmalsmuster die Lebensbotschaft tragen kann. Würden alle überhaupt nur denkbaren Kombinationen von Merkmalen verwirklicht (Matrix-Struktur der Ordnung der Lebewesen) oder wäre die Formenvielfalt der Lebewesen so beschaffen, daß man die Lebewesen der Ähnlichkeit nach geordnet in Form eines Kreises darstellen könnte, würden Kenntnislücken (z. B. ausgestorbene Formen, die nicht gefunden wurden) dieses Muster zerstören, so daß die dahinterstehende Ordnung nicht mehr erkannt werden könnte. Mit einer hierarchisch strukturierten Ordnung dagegen kann dieser Effekt vermieden werden, denn eine hierarchische Ordnung kann auch bei erheblicher Lückenhaftigkeit erkannt werden. Andererseits könnte eine hierarchische Struktur der Ordnung der Lebewesen erheblich leichter durch Evolution gedeutet werden als eine Matrix-Struktur. Gegen die evolutionstheoretische Deutung spricht aber das zahlreiche Vorkommen von Konvergenzen: Viele Merkmale sind so verteilt, daß sie sich der Anordnung in einem widerspruchsfreien Stammbaum widersetzen. Aus diesen Beobachtungen und Überlegungen resultiert für ReMine die "Lebensbotschaft":
Beides zusammen ergibt die "biotic message". Die eingangs erwähnten scheinbaren Unvollkommenheiten der Lebewesen finden im Rahmen der Message Theorie eine überraschende Erklärung. Sie dienen als Hinweise darauf, daß es nur einen einzigen Designer gibt und gehören somit zur "unifying message". Eine Nutzlosigkeit dieser Strukturen kann zwar nicht aufgezeigt werden (im Gegenteil: ihre Funktion ist in der Regel bekannt) - seltsam sind sie gleichwohl, aber gerade deshalb können sie die message-Funktion als Hinweisgeber auf denselben Urheber ausüben. Von der Evolutionstheorie wurden diese Strukturen andererseits nicht vorhergesagt, sondern werden allenfalls im Nachhinein erklärt (s. u.). |
Test der Message TheorieDer Autor bemüht sich, die Message Theorie in einer wissenschaftlichen, d. h. prüfbaren Form zu präsentieren. Er gibt Prüfkriterien an, anhand derer seine Theorie bestätigt oder verworfen werden kann. Die Botschaft der Gemeinsamkeit und die nicht-naturalistische Botschaft müssen durch Daten belegt werden. Da zum Bereich der Gemeinsamkeiten zwischen der Message Theorie und der Evolutionstheorie keine besonderen Unterschiede bestehen, läuft die Prüfung der Message-Theorie auf den Nachweis hinaus, daß die Unterschiede zwischen den Lebewesen nicht durch natürliche Prozesse zu überbrücken sind. Dieser Test ist prinzipiell möglich, und durch Nachweise einer solchen Überbrückung würde die Message-Theorie geschwächt werden. Die Message-Theorie macht somit die Voraussage, daß die Unterschiede zwischen den Lebewesen auch künftig nicht durch natürliche Prozesse (Evolution) erklärt werden können. |
Die Plastizität der EvolutionstheorieAn dieser Stelle startet ReMine gleichzeitig einen Angriff auf die Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie. Sie mache keine Voraussagen, sondern passe sich im Nachhinein den Daten an und sei dabei so flexibel, daß sie sich auch an einander widersprechende Daten anpasse. Ein Großteil der Daten, die heute durch Evolution gedeutet werden, sei nie durch die Evolutionstheorie vorhergesagt worden, auch nicht der Daumen des Panda, nicht die hierarchische Ordnung der Lebewesen oder der Fossilbericht. Lediglich im Nachhinein werde die Theorie immer wieder den Daten angepaßt, wie sich ein Nebel der Landschaft anpasse (S. 24 und öfter). Als Beispiel sei der Punktualismus genannt, der das unerwartet diskontinuierliche Muster der Fossilüberlieferung durch kurzfristige explosive Evolutionsphasen erkläre, von denen jedoch kaum Spuren erkannt werden könnten. ReMine: "Punctuated equilibria explains that ancestry should not be discernible in the fossil record. That idea makes evolutionary theory untestable" (S. 336). Der Punktualismus könne nur dadurch widerlegt werden, daß eine allmähliche evolutionäre Abfolge im Fossilbericht nachgewiesen werden könne, also durch eine andere Evolutionstheorie. Folglich sei die Evolutionstheorie gar nicht mehr falsifizierbar. Dem Kreationismus habe der Punktualismus dadurch eine Prüfmöglichkeit "gestohlen" - in den Worten Weinbergs: "So the creationist prediction of systematic gaps in the fossil record has no value in validating the creationist model, since evolution theory makes precisely the same prediction" (zit. S. 335). Das systematische Auftreten der Fossillücken könnte auf frühe ontogenetische Änderungen zurückzuführen sein, weil solche Abweichungen gravierende Änderungen nach sich ziehen und damit zu schneller Makro-Evolution führen könnten. Diese Überlegung ist aber genau entgegengesetzt zur früheren Auffassung im Sinne der Biogenetischen Grundregel, wonach die frühen Embryonalstadien gerade zu den konservativsten gehören sollten (S. 380). Aufgrund von Beispielen dieser Art kommt ReMine zum Schluß, daß die Evolutionstheorie nichts erkläre, weil sie (aufgrund ihrer Plastizität) alles erkläre. Gegen diesen nicht neuen Vorwurf haben sich Evolutionstheoretiker durchaus gewehrt. So sei eine Widerlegung der Evolutionstheorie möglich, wenn zum Beispiel moderne Säugetiere im Paläozoikum gefunden würden. ReMine kontert, daß solche Funde nur die Ausgestaltung der Evolutionstheorie ändern würden, nicht aber als Widerlegung interpretiert würden. Vermutlich hat ReMine recht, denn etwas weniger dramatische Beispiele hat die Evolutionstheorie tatsächlich oft unbeschadet überstanden. |
"Evolutionäre Illusionen"Seine Kritik an der Plastizität der Evolutionstheorie ergänzt ReMine mit der Aufdeckung "evolutionärer Illusionen". Der Autor meint damit Redeweisen, durch die Sachverhalte als real vorgetäuscht werden, die mindestens nicht genügend empirisch belegt oder gar nur spekulativ sind. Beispielsweise suggeriere die Wendung "fish gave rise to amphibians and amphibians gave rise to reptiles", es gebe eine lückenlose Abfolge von Formen, die einen solchen Übergang belegten, was aber nicht der Fall ist, wie aus der einschlägigen paläontologischen Fachliteratur hervorgeht. Oder auch ein Begriff wie "Kiemenspalte" in Embryonen lungenatmender Landwirbeltiere täusche eine Struktur vor, die gar nicht verwirklicht sei, denn erwiesenermaßen werden bei Landwirbeltieren in der Embryogenese keine Kiemenspalten ausgebildet. |
Versuch einer WürdigungReMine handelt eine große Palette von Teilgebieten der Evolutionstheorie ab: Abiogenese, Selektionstheorie, Neutrale Evolutionstheorie, Populationsgenetik, Systematik, Biogenetische Grundregel, Rudimentäre Organe, Paläontologie, Biogeographie. Die einzelnen Disziplinen werden in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit behandelt. Manches wird nur kurz andiskutiert und bleibt daher unbefriedigend. Auch viele Themengebiete, auf die ReMine ausführlicher eingeht, werden unzureichend abgehandelt, so daß die Darstellung oft oberflächlich wirkt. Bei der enormen Bandbreite der angesprochenen Themen ist das allerdings kaum vermeidbar. Fachleute werden in vielen Fällen mit einer differenzierteren Diskussion einhaken können. Doch wenn das Buch genau dazu führt, tut es einen guten Dienst. Denn ReMine zeigt viele angreifbare Formulierungen von Evolutionstheoretikern durch eine Fülle von Zitaten ihrer eigenen Vertreter auf und fordert mit Recht eine um mehr Objektivität bemühte Terminologie und die Formulierung testbarer Aussagen. Eine konsequente Unterscheidung von Daten und Deutungen kann nur hilfreich sein. Auch die Kritik an der Plastizität der Evolutionstheorie erscheint mindestens teilweise berechtigt und könnte dazu anspornen, möglichst klare Voraussagen zu entwickeln. Dennoch ist die Formulierung, die Evolutionstheorie passe sich den Daten an wie ein Nebel an die Landschaft, und die Behauptung, sie sei daher nicht wissenschaftlich, überzogen. Denn in vielen Detailbereichen werden prüfbare Vorhersagen abgeleitet und Tests unterzogen. Diese Tests führen denn auch häufig zu Modifikationen evolutionstheoretischer Vorstellungen - und so läuft nun einmal Wissenschaft. ReMine ist jedoch insofern recht zu geben, als die Evolutionsanschauung als generelle Rahmentheorie durch diese Tests, die nur Teilbereiche betreffen, nicht zur Disposition gestellt wird. Daran würden möglicherweise selbst Funde menschlicher Hinterlassenschaften im Präkambrium nichts ändern. Die Evolutionstheorie bekäme ein neues Gesicht, würde aber nicht fallengelassen werden. Die mangelnde Vorhersagbarkeit der Evolutionslehre ist von ReMine ebenfalls richtig erkannt worden; er ist nicht der erste, der hier einhakt. In der Tat können durch die Evolutionslehre - sobald es um die entscheidenden großen Übergänge geht - nur Erklärungen im Nachhinein gegeben werden. Das liegt aber in der Natur der Sache, da vergangene Abläufe rekonstruiert werden sollen. Dieselbe Kritik muß sich ReMine auch an seiner Message Theorie gefallen lassen. Seine Darlegungen wirken ebenfalls als Konstruktionen, die bekannte Befunde eben auch im Nachhinein erklären sollen. Denn auch ReMine kann nicht in die Rolle des unvoreingenommenen Betrachters schlüpfen, der sich zuerst (ohne Kenntnis der Strukturen und Ordnung der Lebewesen) überlegt, wie wohl ein Designer vorgegangen sein müßte, damit sein Werk als "Schöpfung" erkannt wird, und dann erst prüfen, ob die Realität dazu paßt. Hier sitzen Evolutions- und Message-Theorie im selben Boot und stellen sich als Konkurrenten dar, die denselben Datensatz zu erklären haben. ReMine hat aber gezeigt, daß die Message-Theorie nur deshalb, weil sie Bezug auf einen Designer nimmt, nicht aus dem Feld der Wissenschaft verbannt werden darf, denn sie ermöglicht neue, interessante Fragestellungen, Testmöglichkeiten und damit Erkenntniszuwachs. Daß planerische Absichten hinter den beobachteten Phänomenen stecken können und aus der wissenschaftlichen Arbeit nicht generell ausgeklammert werden können, verdeutlicht ReMine mit dem Hinweis auf das SETI-Programm (Suche nach extraterrestrischer Intelligenz; diese Suche macht nur Sinn, wenn man davon überzeugt ist, daß man Zufallssignale von absichtsvollen an den registierten Phänomenen unterscheiden kann) oder der Aufklärung der berühmten Piltdown-Fälschung. (Dort konnte durch bestimmte Analysemethoden herausgefunden werden, daß ein Schädel aus verschiedenen Arten zusammengesetzt war, und daß dahinter eine Absicht steckt, ohne die Urheber der Fälschung selber entdeckt zu haben.) Der entscheidende Knackpunkt der Bewertung der Erklärungskraft der Message-Theorie ist die exakte Erfassung der "non-naturalistic message". Auf der analytischen Ebene ist sie sehr schwer zu greifen. Dazu sollten folgende Voraussetzungen gegeben sein: Alle natürlichen Evolutionsprozesse sowie die Struktur-Funktions-Beziehungen des fraglichen Systems müssen hinreichend gut verstanden sein. Weil dies eine kaum zu erfüllende Forderung ist, läuft ein nicht unwesentlicher Teil der Erkennung der "nicht-naturalistischen Botschaft" auf der intuitiven Ebene ab und ist dementsprechend von persönlichen Meinungen mitbestimmt. Aber Anregungen für Forschung gibt das ReMinesche Konzept allemal, und das alleine ist schon Grund genug, die Natur mit anderen als nur evolutionstheoretisch ausgerichteten Blicken zu studieren. Gould SJ (1989) Der Daumen des Panda. Frankfurt. |
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