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Das kurze Leben des Saturnrings

von Norbert Pailer

Studium Integrale Journal
26. Jahrgang / Heft 1 - April 2019
Seite 46 - 47


Zusammenfassung: Staubringe sind fragile Elemente. Es gilt heute als gesichert, dass das Saturn-Ringsystem eine relativ junge Beigabe zum Planetenkörper ist. Nun wurden zudem Hinweise beobachtet, die einen relativ schnellen Rückbau dieses Systems nahelegen.


Der Saturn ist wahrscheinlich der ungewöhnlichste Planet unseres Sonnensystems. Dafür sorgt insbesondere sein ausgefallenes Ringsystem. Der Durchmesser des von der Erde aus sichtbaren Teils beträgt 280.000 Kilometer, das sind etwa zwei Drittel der Entfernung Erde – Mond. Der sehr schwache E-Ring hat gar einen Durchmesser von 600.000 Kilometern. Die vertikale Ausdehnung – zumindest die der hellen inneren Ringe – liegt hingegen bei deutlich unter 1000 Metern. Es ist absolut erstaunlich, welch hochgradige Ordnung dort im Wechselspiel von Magnet- und Gravitationsfeldern über Jahrmillionen vorliegt.

Die Staubteilchen werden in einem delikaten Balanceakt zum einen von Saturns Gravitationskraft, die den Staub Richtung Zentralkörper zwingen will, und zum anderen von der Zentrifugalkraft aufgrund der Umlaufgeschwindigkeit, die ihn Richtung Weltraum katapultieren will, auf ihrer Bahn gehalten. So ist das etablierte Verständnis. Kleine Teilchen werden dabei vom ultravioletten Licht der Sonne oder der Plasmawolke – erzeugt durch das stetige Meteoritenbombardement des Ringsystems – elektrisch geladen, weshalb sie zusätzlich der Kraft des Saturn-Magnetfeldes ausgesetzt sind, die sie Richtung obere Atmosphäre des Saturn führt. Abb. 1 illustriert dieses Kräftespiel.

Abb. 1: Geladene Wassermoleküle und organische Verbindungen strömen in weiten Bögen vom Ringsystem als „schmutzige Dusche“ in die obere Atmosphäre des Saturn. (© NASA/JPL-Caltech/ Space Science Institute/ University of Leicester)

In einem Beitrag der letzten Ausgabe von Studium Integrale Journal (Pailer 2018) wurde berichtet, dass das Ringsystem des Saturn mit 150 bis maximal 300 Millionen Jahren, in kosmischen Kategorien gesprochen, relativ jung ist – im Gegensatz zum Mutterkörper des zweitgrößten Planeten, dessen Alter mit rund 4 Milliarden Jahren taxiert wird.

Wenn ein solches Ringsystem nicht schon immer den Saturn begleitet hat, sondern erst im Laufe der Saturngeschichte hinzukam, ist es zunächst nicht verwunderlich, dass es auch wieder verschwindet. Nun wurden neue Erkenntnisse über das Ringsystem veröffentlicht (z. B. O’Donoghue et al. 2018). Das Besondere an diesen Arbeiten ist eine bisher unerreichte Bandbreite von Ergebnissen, die in die Auswertungen eingeflossen ist: angefangen von Daten der Pioneer 11-Mission aus dem Jahre 1979, weiterhin von Voyager 1 und 2, von Cassini-Huygens zusammen mit aktuellen Beobachtungsdaten der größten erdgebundenen Teleskope. Die Daten zeigen, dass der Rückbau der Ringe viel schneller geht als bisher vermutet. Es sollte allerdings nicht verwundern, dass all diese Daten – schon wegen der wechselnden Einflüsse (z. B. dynamische Sonnenaktivität und wechselnde Öffnung des Saturnrings in Bezug auf die Sonne) – nicht vollumfänglich stimmig sind, aber grundsätzlich von einer – in kosmischem Sinne – raschen Flüchtigkeit des Ringsystem zeugen. In der Veröffentlichung von O’Donoghue et al. (2018) wird insbesondere auf die Vermessung des Ions H+3 (Derivat von Wasser) in der Ionosphäre des Saturn-Mutterkörpers abgehoben. Je mehr wassereishaltiges Ringmaterial auf den Mutterkörper fällt, desto stärker ist die Emission von H+3 im infraroten Wellenlängenbereich.

Die neuen Untersuchungen wurden am 10m-Keck-Teleskop auf dem Mauna Kea in Hawaii durchgeführt, indem das Maximum der Emission von H+3 in der Ionosphäre des Saturn korreliert wird mit dem Einfall von Wassereis. Die einfallende Menge beläuft sich dabei auf der Basis von Modellen auf 432 bis 2870 kg/s.

Die bisher geschilderten Einflüsse beziehen sich insbesondere auf den inneren Teil des Ringsystems. Mit dem im fernen UV-Licht messenden Ultraviolet Imaging Spectrograph (UVIS) auf der Raumsonde Cassini-Huygens wurden die im Saturnsystem vorkommenden Elemente erfasst. Beim Auswerten der Daten fiel ein ultraviolettes Leuchten von atomarem Sauerstoff besonders auf, das sich in einer Ebene um den Saturn bis zu zehn Saturnradien in den Weltraum erstreckte. Mögliche Ursachen könnten eine plötzliche Kollision von Staubpartikeln sein oder eben ein Meteoriteneinschlag. So fand das UVIS-Team um Axel Korth (ESA 2018) vom MPS für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau eine Häufung atomaren Sauerstoffs im Bereich des E-Ringes bei 3,7 Saturnradien auf der sonnenabgewandten Seite des Planeten. Die Anzahl atomarer Sauerstoff-Atome war extrem hoch. Sie betrug bis zu etwa 1 Million Tonnen Sauerstoff. Dieser Sauerstoff bildet sich relativ schnell und entweicht nach einigen Monaten ebenso schnell in den interplanetaren Raum.

Sollte sich die aus den H+3-Messungen ermittelte Rate als typisch erweisen, würde allein dieser Verlust ausreichen, um das Ringsystem innerhalb von rund 300 Millionen Jahren verschwinden zu lassen. Es deutet sich allerdings an, dass dieser Ringregen nur einen Teil der verschwindenden Masse ausmacht. Zusätzlich kommt eine Mixtur an beträchtlichen Mengen Methan, Ammoniak, molekularem Stickstoff sowie Kohlenmonoxid und -dioxid dazu. Rechnet man alle bekannten Verluste zusammen, überstehen die Ringe wegen dieser „schmutzigen Dusche“ und anderer Verlustprozesse womöglich keine 100 Millionen Jahre als Worst Case Szenario. Das mit den organischen Verbindungen vermischte Wassereis fällt in rund zehnfach höherer Konzentration auf den Planeten, als von den bisherigen Mo­dellen „prognostiziert“, berichtet Hunter Waite vom Southwest Research Institute.

Zusammenfassend können zwei überraschende Befunde beim Saturn-Ringsystem festgehalten werden: zum einen die chemische Komplexität des Ringregens und zum anderen die schiere Menge dieses Regens und die damit verbundene kurze Lebenserwartung des Ringes. Möglicherweise dürfen wir uns glücklich schätzen, in einer Zeit zu leben, in der wir das Saturnringsystem in seinen besten Jahren erleben, während wir die anderen Staubringe bei Jupiter, Uranus oder Neptun gerade verpassten, die heute nur schwache Ringe bzw. Ringlets zeigen. Allerdings müssen für eine sichere Prognose mögliche Recyclingprozesse besser verstanden werden.


Literatur

O’Donoghue J, Moore L, Connerney J, Melin H, Stallard T, Miller S & Baines KH (2018)
Observations of the chemical and thermal response of ‘ring rain’ on Saturn’s ionosphere. Icarus. doi:10.1016/j.icarus.2018.10.027
Pailer N (2018)
Staub im Weltall. Neueste Daten fordern ein radikales Umdenken. Stud. Integr. J. 25, 68–75.
ESA (2018)
Ein gigantisches rätselhaftes Ringsystem. http://www.esa.int/ger/ESA_in_your_country/Germany/Ein_gigantisches_raetselhaftes_Ringsystem/(print)


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