Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 23. Jg. Heft 1 - Mai 2016
Druckerfreundliche Ansicht dieser Seite



Neues aus dem Holozän

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
26. Jahrgang / Heft 1 - April 2019
Seite 43 - 45

(Artikel im PDF-Format)


Zusammenfassung: Grönlandium, Northgrippium, Meghalayum – die oberste Serie der stratigraphischen Tabelle, das Holozän, ist formal um drei neue Einheiten und Bezeichnungen ergänzt worden. Ein „Anthropozän“ ist bislang nicht formalisiert. Die Gliederung des Holozän steht strukturell in einem Missverhältnis zur Vorstellung einer geologischen „Langzeit“.




Holozän formal dreigegliedert

Die Einführung neuer Einheiten und Bezeichnungen in der Stratigraphie* geschieht durch einen formalen Prozess, dem Mehrheitsbeschlüsse zugrunde liegen. So heißt es 2018 zur „rechtskräftigen“ (ratifizierten) Dreigliederung des Holozän aus dem zuständigen Sekretariat: „(…) das Exekutivkomitee der Internationalen Union der Geologischen Wissenschaften (IUGS)1 hat einstimmig beschlossen, die Vorschläge für die Stufen der Holozän-Serie – Grönlandium, Northgrippium und Meghalayum – für die korrespondierenden Subserien2 Unterholozän, Mittelholozän und Oberholozän und die GSSP’s [Referenzpunkte und -profile*, MK] für die Northgrippium- und Meghalayum-Stufe zu ratifizieren (…)“.3 Zuvor hatte die Internationale Kommission für Stratigraphie (ICS) auf Grundlage der entsprechenden Arbeitsgruppe der Subkommission für Quartärstratigraphie (SQS) die Vorschläge genehmigt und dann an das Exekutivkomitee weitergeleitet.

Abb. 1: Satellitenaufnahme von Grönland (NASA, 27. Juli 2016), Grönland ist Namensgeber für die Grönlandium-Stufe.

Mit dieser Entscheidung ist die internationale chronostratigraphische Tabelle (Abb. 2) um drei nicht leicht auszusprechende und nur schwer zu merkende Namen ergänzt worden.4 Zielgruppe dieser Initiative allerdings ist die „Quaternary community“, die Quartär-Gemeinschaft, Wissenschaftler, die sich mit dem Quartär befassen. Die neuen Stufen sind nach Walker et al. (2018) wie folgt definiert, von oben nach unten:

Abb. 2: Internationale chronostratigraphische Tabelle des Quartärs; rechts mit Zuweisung geschätzter numerischer Alter des GTS2012-Altersmodells (Gradstein et al. 2012) bzw. Meldungen der ICS-Subkommissionen in Millionen radiometrischen Jahren (Mra). Ober- und Mittelpleistozän sind formal noch nicht definiert. Nach Version v2018/08 der Internationalen Stratigraphischen Kommission (ICS).

Meghalayum. Die Referenzlokalität* ist die Mawmluh-Höhle in Cherrapunjee, Bundesstaat Meghalaya, Nordost-Indien; der Name der Stufe leitet sich vom Bundesstaat ab. Das Referenz-profil ist entlang eines Vertikalschnitts eines etwa 31 cm hohen Kalzitstalagmits (Probe KM-A), der Grenzpunkt liegt 6 mm unterhalb der Spitze. Berkelhammer et al. (2012) berichten von über 1100 entlang dieses Profils durchgeführten Sauerstoffisotopenmessungen und von einer abrupten Veränderung des Sauerstoffisotopenverhältnisses δ18O zu höheren Werten bei Profilmeter 0,006. Das Alters-Tiefen-Modell basiert auf 12 Bestimmungen des U/Th-Verhältnisses. Es werden u. a. folgende U-Th-Alter ausgewiesen: für die Spitze (0 mm) 3654, für den positiven Peak (6 mm) 4112 und für die Position 193 mm 11.216 [radiometrische] Jahre BP (before present; vor heute, Bezugsjahr 1950). Die Veränderung zu höheren δ18O-Werten soll aber bei etwa 4200 [radiometrischen] Jahren BP einsetzen. Wie die Alter geeicht wurden, wird allerdings nicht mitgeteilt. Die Autoren interpretieren den abrupten δ18O-Ausschlag als großskaliges, klimatisches Ereignis, einen abrupten Klimaumschwung. Dieses sei auch in anderen Proxy-Datenreihen, z. B. in Nordafrika, dem Mittleren Osten und Nordamerika, dokumentiert. Walker et al. (2018) bezeichnen die jeweiligen Ausschläge auch als „4,2-ka-Ereignis“ (ka, 1000 Jahre). Das Grenzdatum wird abschließend mit 4250 [radiometrischen] Jahren b2k (before 2 k; vor 2000 nach Christus, als Bezugsjahr) festgelegt.

Northgrippium. Die Referenzlokalität befindet sich auf der Eisscheide in Nordgrönland. Der Name der Stufe leitet sich von der Eiskern-Tiefbohrung NGRIP ab: N(orth)GRIP, North Greenland Ice Core Project. Als Grenzpunkt wird eine markante Veränderung der Sauerstoff- und Wasserstoffisotopenverhältnisse, δ18O bzw. δD, zu niedrigeren Werten in einer Tiefe von 1228,67 m im Eiskern definiert. Dieser „Einbruch“ wird als abrupte Abkühlung interpretiert. Auf Grundlage der eiskernchronologischen „Jahresschichtenzählung“ wird dieser Tiefe ein Alter von 8236 ± 47 [Eiskern-] Jahre b2k zugewiesen (zur Methodik und einer Kritik siehe Kotulla 2013b). Der negative Ausschlag wird auch als „8,2-ka-Ereignis“ (ka, 1000 Jahre) bezeichnet.

Grönlandium. Die Basis des Holozän ist bereits 2008 formal definiert worden (Walker et al. 2009); sie ist identisch mit der Basis des Grönlandium, der untersten Stufe des Holozän (Abb. 2). Der Grenzpunkt befindet sich im NGRIP-Eiskern in einer Tiefe von 1492,45 m (s. Kotulla 2013c, Abb. 6). Er markiert einen abrupten Abfall des sog. Deuterium-Exzess-Wertes sowie einen graduellen, anhaltenden Anstieg der δ18O- und δD-Werte, welche als Signal einer klimatischen Erwärmung interpretiert werden. Nach der eiskernchronologischen „Jahresschichtenzählung“ wird der Basis ein Alter von gerundet 11.700 Eiskernjahren b2k, interpretiert als Kalenderjahre, zugewiesen (s. o.). Der Name der Stufe leitet sich von der Region der Bohrlokalität, dem zentralen grönländischen Eisschild, ab (Abb. 1).

Demzufolge sind alle drei Stufen an ihrer Basis chemo- bzw. klimatostratigraphisch definiert. Nach Walker et al. (2018) sollen die definierten Grenz-Ereignisse weltweiter oder nahezu weltweiter Natur gewesen sein und einen zeitstratigraphischen Marker-Horizont bilden.

Referenzpunkt, Referenzprofil, Referenzlokalität: Hier vereinfachte Bezeichnung für den „Grenzstratotypus-Punkt“ in einem „Grenzstratotypus-Profil“ (Global Boundary Stratotype Section and Point, GSSP) zur formalen Grenz-Definition einer chronostratigraphischen Einheit mit Angabe der Lokalität. Es wird jeweils die Basis einer Einheit definiert. Stratigraphie: Beschreibung der Gesteinskörper, die die Erdkruste aufbauen; der Prozess zur Fortentwicklung der internationalen chronostratigraphischen Tabelle ist formalisiert.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

„Anthropozän“

Die Arbeitsgruppe „Anthropozän“ der Subkommission für Quartärstratigraphie (SQS) hat bislang keinen formalen Vorschlag eingereicht, ein „Anthropozän“ als eine dem Holozän folgende Serie bzw. Epoche einzuführen. Gegenwärtig werden u. a. mögliche Referenzereignisse und -punkte (GSSP’s) diskutiert.5 Mit einem Vorschlag ist jedoch in den nächsten Jahren zu rechnen.

Hinter „Anthropozän“ steht das Konzept, dass „die Menschen geologische Prozesse des Systems Erde so weitreichend verändert haben, dass sie einen planetaren Wechsel zu einer neuen Periode geologischer Zeit verursachen“. Es sei eindeutig ein reales Ereignis innerhalb des Tiefenzeit-Kontextes [der geologischen (Lang-)Zeit, MK], und es würde geologische Signaturen produzieren (Anthropocene Working Group 2014).

Zu diesen Signaturen werden u. a. anthropogene Ablagerungen, „Technofossilien“ (z. B. Plastik) und Verbrennungsrückstände gezählt; als untere Grenze der neuen Epoche wird die Mitte des 20. Jahrhunderts als für geeignet erachtet (Waters et al. 2016).

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Holozäne Serie und Stufen im Vergleich „extrem“ kurz

Die internationale chronostratigraphische Tabelle ist eine Universaltabelle mit konstruierten, lückenlos aufeinander folgenden, in hohem Maße abstrahierten Einheiten aus „Gestein und Zeit“. Chronostratigraphische Einheiten (z. B. Serie und Stufe) haben ihre Äquivalente in chronologischen Einheiten (Epoche und Alter) mit jeweils identischen Namen (z. B. Holozän und Grönlandium, Abb. 2). Die Einheiten können als eine Folge von relativen „Zeitscheiben“ unbekannter Dauer betrachtet werden. Der Tabelle wird schließlich ein Altersmodell zugewiesen.

Die holozänen Stufen sind nach dem gängigen Altersmodell um einen Faktor 1400–1600 kürzer als das errechnete Mittel der anderen Stufen.

Auf Grundlage des aktuellen radiometrischen Altersmodells6 (GTS20127, Gradstein et al. 2012) und den Ergänzungen nach 2012 können aus den zugewiesenen Altern die radiometrische Dauer der Einheiten ermittelt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Demnach dauert eine phanerozoische Stufe (geochronologisch: Alter) im Mittel etwa 5,6 Millionen radiometrische Jahre (Basis dieser Angabe sind die Stufen von der Gelasium-Stufe des Pleistozän bis zur Fortunium-Stufe des Kambrium; insgesamt 96 Stufen).8 Dabei reichen die Werte für die Dauer der einzelnen Stufen von etwa 1 Million radiometrischen Jahren (z. B. Piacenzium-Stufe des Pliozän oder Hirnantium-Stufe des Ordovizium) bis zu etwa 14 Millionen radiometrischen Jahren (z. B. Emsium-Stufe des Devon). Mittel- und Oberpleistozän sind formal noch nicht definiert (Abb. 2).

Die holozänen Stufen (Alter), Grönlandium und Northgrippium, dagegen dauern etwa 0,0035 bzw. 0,0040 Millionen radiometrische Jahre. Das ist um einen Faktor 1400–1600 kürzer als das errechnete Mittel der anderen Stufen. Eine strukturelle, Langzeit-orientierte Kontinuität der Chronostratigraphie bis zu den oberen Stufen des Quartärs ist demnach nicht mehr gewahrt.
Gegenwärtig wird diskutiert, ob ein „Anthro-pozän“ formal eingeführt wird (s. o.). Ungeachtet dessen, ob für diese potenzielle neue Serie bzw. Epoche ein Beginn um 1850 oder um 1950 definiert werden könnte, würde die Einführung definitionsgemäß das Holozän beenden. Ein Vergleich der möglichen Dauer des Holozäns mit der mittleren Dauer der anderen phanero-zoischen Serien, 0,0117 zu 16,3 Millionen radio-metrische Jahre (33 Serien), ergibt ein ebenso eklatantes Missverhältnis wie der „Stufen-Vergleich“: Das Holozän wäre – auf Grundlage des radiometrischen Altersmodells – um einen Faktor 1400 kürzer.

Gedanklich könnte die radiometrische Dauer einer holozänen Stufe als „zeitlicher“ Maßstab für das gesamte Phanerozoikum (Kambrium bis heute) dienen – das wäre ein alternatives Altersmodell. Das ergäbe rein rechnerisch eine Dauer von rund 400.000 radiometrischen Jahren für das gesamte Phanerozoikum (Basis 100 Stufen ab Kambrium). Zur Quantifizierung der vergangenen Zeit war solch eine Projektion prinzipiell die Vorgehensweise von Lyell (1868, 310). Den Primäreinheiten der stratigraphischen Tabelle wurden schon früh eine gleiche Dauer zugeschrieben. So ist die Dauer der Vorzeit bezogen auf die fossilführenden Schichten (übertragbar: Kambrium bis heute) von Lyell (1868) zu 12 Zyklen (Perioden) à 20 Millionen Jahre und von Holmes (1927) zu 20 geologischen Zyklen à 30 Millionen Jahre konstruiert worden.9

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Anmerkungen

1 Name der Organisationen hier in einer nicht autorisierten Übersetzung.

2 Zuvor war eine Gliederung der Serie Holozän in Subserien vorgenommen worden, diese Subserien waren aber nicht weiter definiert. Korrespondierend: z. B. Grönlandium zu Unterholozän.

3 Siehe http://quaternary.stratigraphy.org/wp-content/uploads/2018/07/IUGS-Ratification-to-ICS_Holocene-subdiv.pdf.

4 Zu den zahlreichen stratigraphischen und geochronologischen Begriffen siehe z. B. Kotulla (2016).

5 Siehe http://quaternary.stratigraphy.org/working-groups/anthropocene/.

6 Zu einer Kritik siehe Kotulla (2013a).

7 Radiometrische Jahre werden implizit mit Kalenderjahren gleichgesetzt.

8 Aktuelle Tabelle siehe http://stratigraphy.org/ICSchart/ChronostratChart2018-08.jpg.

9 Alle diese Modelle berücksichtigen die überwiegend rasche Sedimentation nicht.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Literatur

Anthropocene Working Group (2014)
The Anthropocene: an update. GeoQ 12, 22.
Berkelhammer B, Sinha A et al. (eds.)
Climate, Landscapes, and Civilizations. Geophysical Monograph Series 198, 75–88.
Gradstein FM, Ogg JG, Schmitz MD & Ogg GM (Eds.)
The Geologic Time Scale 2012. Volume 1/2, Oxford Amsterdam.
Holmes A (1927)
The Age of the Earth. London.
Kotulla M (2013a)
Gültigkeit und Grenzen geologischer Zeitbestimmung. Online-Loseblattsammlung, Stand: 1. Lieferung 10/2013, http://www.wort-und-wissen.de/loseblattsammlung.html.
Kotulla M (2013b)
Grönländische Eiskerndaten und ihre Interpretation: Absolute Datierung durch Zählung von Jahresschichten? W+W Special Paper G-13-1, Baiersbronn; http://www.wort-und-wissen.de/download.html.
Kotulla M (2013c)
Eiskerndatierung: 100 000 Jahre und mehr? Stud Integr. J. 20, 84–93.
Kotulla M (2016)
Erdgeschichte als Tatsache. Stud. Integr. J. 23, 83–93.
Lyell C (1868)
Principles of Geology, vol. 2, 10th ed., London.
Walker M, Johnsen S et al.(2009)
Formal definition and dating of the GSSP (Global Stratotype Section and Point) for the base of the Holocene using the Greenland NGRIP ice core, and selected auxiliary records. J. Quatern. Sci. 24, 3–17.
Walker M, Head MJ et al. (2018)
Formal ratification of the subdivision of the Holocene Series/Epoch (Quaternary System/Period): two new Global Boundray Stratotype Sections and Points (GSSPs) and three new stages/subseries. Episodes 41, doi: 10.18814/epiiugs/2018/018016.
Waters CN, Zalasiewicz J et al. (2016)
The Anthropocene is functionally and stratigraphically distinct from the Holocene. Science 351, 137.


Studium Integrale Journal 26. Jg. Heft 1 - April 2019