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Dino-Doppelgänger des Vogels Strauß

von Reinhard Junker

Studium Integrale Journal
23. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2016
Seite 39 - 40


Zusammenfassung: Ein jüngst veröffentlichter Dinosaurier-Fund bestätigt, dass die Ornithomimiden („Vogel-Nachahmer“) befiedert waren, und dokumentiert darüber hinaus eine sehr ähnliche Befiederung wie bei heutigen großen Laufvögeln – eine bemerkenswerte Parallele ohne nähere Abstammungsverwandtschaft. In die bisher favorisierten evolutionären Abstammungsfolgen passt der Fund nicht gut bzw. nur mit Zusatzannahmen, insbesondere der Annahme einer unabhängigen Entstehung typischer Elemente des Laufvogel-Bauplans und eventuell der Federn.


Die „Vogel-Nachahmer“ unter den Dinosauriern, die Ornithomimidae, sind schon seit langem bekannt, vor allem aus den geologischen Schichten der Oberkreide Ostasiens und des westlichen Nordamerika. Sie gehörten zu den Theropoden (zweibeinig laufende Raubdinosaurier), besaßen einen schlanken Körperbau, wurden meist 3-6 Meter lang, und man vermutet, dass sie schnelle Läufer waren, vergleichbar den heutigen Laufvögeln (dafür spricht z.?B., dass die Unterschenkel länger waren als die Oberschenkel, was ein Indiz für schnelles Laufen ist). Vogeltypisch war auch der zahnlose Schnabel. Der Schädel war langgestreckt und relativ klein, mit großen seitlich platzierten Augen und vermutlich gut entwickeltem Gehirn; Hirnschädel und Schnauzenregion besaßen luftgefüllte Hohlräume.

Erst vor kurzem sind bei einigen Exemplaren auch Reste federartiger Anhänge und eine flügelartige Struktur mit verlängerten Federn (ein sogenanntes „Pennibrachium“) nachgewiesen worden (Zelenitsky et al. 2012). Das war insofern überraschend, als die Ornithomimiden zwar aufgrund ähnlicher Merkmale als „Vogelnachahmer“ bezeichnet (s. o.), aber ansonsten mit den Vögeln nicht als näher verwandt betrachtet werden. (Der evolutive Weg zu den Vögeln soll über andere Gruppen gelaufen sein.) Daher wurde die evolutionstheoretische Hypothese formuliert, dass schon bei den gemeinsamen Vorfahren der Ornithomimiden und der Vögel Federn ausgebildet waren (www.theglobeandmail.com/news/national/alberta-researchers-discovery-offers-insight-into-feathered-dinosaurs/article27024287). Daraus würde allerdings folgen, dass viele Formen danach die Federn wieder zurückgebildet oder verloren hätten. Außerdem müssten diese gemeinsamen Vorfahren im evolutionären Modell mehr als doppelt so alt wie die befiederten Formen der Ornithomimiden gewesen sein – alles Befunde, die evolutionstheoretisch nicht gut passen. Heute ist aber auch die Annahme nicht mehr tabu, dass Federn in verschiedenen evolutionären Linien mehrfach unabhängig entstanden sein könnten (Brusatte et al. 2015, R892), was nicht-zielgerichtete evolutionäre Mechanismen vor noch größere Herausforderungen stellt als die Erklärung einer einmaligen Entstehung.

Ein neuer Fund mit modernen Merkmalen

Abb. 1: Ein gefiederter Ornithomimus. (Künstlerische Rekonstruktion: Julius Csotonyi)

Nun berichten van der Reest et al. (2016) von einem neuem Ornithomimus-Fund. Er stammt wie die anderen Ornithomimus-Funde mit Federresten aus der Oberkreide Nordamerikas (Dinosaur Park Formation of Alberta, Kanada). Das Tier war bis zu vier Meter lang; Kopf und Vorderextremitäten sind allerdings nicht erhalten. Das Besondere an diesem bereits 2009 gemachten Fund: Nicht nur Federn sind in sehr guter Erhaltung überliefert, sondern es ist auch klar erkennbar, welche Körperteile nicht befiedert waren, da im Bereich des Fußes auch fossile Spuren von Hautresten sehr gut sichtbar sind. Die Befiederung am Schwanz und an den Beinen und die nackten Bereiche ähneln stark den Verhältnissen heutiger großer Laufvögel wie Strauß oder Emu (Abb. 1). So sind die Unterseite des Schwanzes und die Beine ab etwa der Mitte des Oberschenkels ungefiedert. Die Forscher schließen aus der gesamten Befundsituation auf eine ähnliche Thermoregulation bei Ornithomimus wie bei den heutigen Straußen. „Die federlose Haut unter dem Körper deutet darauf hin, dass die Tiere sogar den gleichen Mechanismus nutzten, um überschüssige Wärme loszuwerden. Auch die Chemie der Federn sei von modernen Vögeln praktisch nicht zu unterscheiden, betont van der Reest“ (www.spektrum.de/news/dino-hatte-schwanzfedern-und-nackte-beine/1373283).

Da die Ornithomimiden und die heutigen großen Laufvögel im aktuell favorisierten Evolutionsmodell auf relativ weit entfernten Ästen angeordnet sind, werden die genannten weitreichenden Ähnlichkeiten als Konvergenzen (unabhängig entstandene Ähnlichkeiten) interpretiert; sie werden also nicht als Indizien für gemeinsame Abstammung gewertet. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund die Auffassung eines der Autoren, der Fund erhärte die klassische These, nach der Vögel eine Gruppe innerhalb der Dinosaurier darstellen (http://phys.org/news/2015-10-ornithomimus-dinosaur-tail-feathers-skin.html). Das ist aus zwei Gründen schwer nachvollziehbar:

1. Die Schichten, in denen Ornithomimus gefunden wurde, werden auf etwa 72 Millionen radiometrische Jahre datiert (Oberkreide, Campanium). Der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx mit unbestritten „moderner“ Befiederung hat das doppelte radiometrische Alter, und zahlreiche eindeutig flugfähige Vogelgattungen der Unterkreide sind ebenfalls deutlich älter datiert als Ornithomimus.

Der neue Ornithomimus-Fund ist viel jünger als Archaeopteryx und ist mit diesem nicht näher verwandt.

2. Da die Ornithomimiden auf einen systematischen Ast gestellt werden, der nicht zu den Vögeln überleitet, können sie auch nicht in eine enge phylogenetische Beziehung zu den Vögeln gebracht werden. Eine evolutive Verbindung Vögel-Dinosaurier wird durch die Ornithomimiden allenfalls sehr indirekt unterstützt (z. B. durch die Annahme mutmaßlicher entfernterer gemeinsamer Vorfahren; s. o.), und zweifellos gibt es für eine solche Verbindung bessere Kandidaten unter den Theropoden. Die Ornithomimiden sind für den Übergang von den Dinosauriern zu den Vögeln jedenfalls keine geeigneten Kronzeugen – im Gegenteil: Sie zeigen, dass auch die genannten weitreichenden Ähnlichkeiten nicht ohne weiteres als Hinweise auf eine gemeinsame Abstammung gedeutet werden können, sondern unter Umständen (wie hier) als Konvergenzen anzusehen sind. An die steigende Zahl von Konvergenzen auch von Schlüsselmerkmalen scheint man sich im Rahmen des Evolutionsmodells zwar zu gewöhnen; die damit verbundenen evolutionstheoretischen Fragen nach ihrer unabhängigen Entstehung bleiben dennoch ungelöst und fordern komplett neue Evolutionsmechanismen (Diskussion dazu bei Braun 2012).

Keine Auskunft kann der neue Fund darüber geben, wie im Verlauf der Evolution Federn entstanden sind. Das gilt insbesondere deshalb, weil das Federkleid von Ornithomimus als zurückgebildet interpretiert wird. Eine evolutionäre Neubildung von Federn bei Ornithomimus wäre noch unwahrscheinlicher, da dann noch weiter reichende Konvergenzen angenommen werden müssten.


Literatur

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