Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 12. Jg. Heft 2 - Oktober 2005
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Plattenkalke: Neue Hinweise auf rasche Entstehung
und geologisch nicht überlieferte Biotope

von Manfred Stephan

Studium Integrale Journal
12. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2005
Seite 85 - 87





Einführung

Plattenkalke sind oft bedeutende Konservat-Fossillagerstätten, d.h., man kennt aus ihnen besonders gut erhaltene (sozusagen „konservierte“) Fossilien (Seilacher 1970, 38). Es werden auch immer wieder spektakuläre und wissenschaftlich bedeutsame Funde gemacht. So wurde im Nusplinger Plattenkalk (Oberer Jura; Schwäbische Alb) Ende Juni 2004 (mehr als 100 Jahre nach dem ersten Exemplar!) ein weiteres Meereskrokodil der Gattung Geosaurus entdeckt (leider ohne Kopf), und wenige Wochen später glückte – trotz relativ kleiner Grabungsfläche – sogar noch der Fund seines 10 m entfernt liegenden Schädels (Dietl & Schweigert 2005). Weniger bekannt ist, daß Plattenkalke zahlreiche detaillierte Hinweise auf ihre Entstehung enthalten, und zwar auf schnelle Bildung. Einige neue (Be)Funde sollen hier vorgestellt werden.

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Senkrecht eingebetteter Nautilide

Das zu den Tintenfischen gehörende heutige Perlboot Nautilus mit spiraligem, ammonitenähnlichem Gehäuse gilt als klassisches „lebendes Fossil“. Bei der seit 1993 laufenden Grabungskampagne des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart (Grabungsleitung: G. Schweigert) wurden bis 2003 im Nusplinger Plattenkalk etwa 2 Dutzend Nautiliden geborgen. Weltweit einmalig ist: Einige wurden sogar mit Ober- und Unterkiefer eingebettet. Die Kieferelemente müssen bei der Bedeckung mit Kalkschlick noch im Kropf des Tieres integriert gewesen sein; von den Weichteilen des Kropfes ist jedoch nichts erhalten. Ein Nautilide wurde sogar auf seiner breiten Externseite abgesetzt und senkrecht eingebettet (Schweigert & Dietl 2003, 344); das ist der erste Fund mit dieser Position im Nusplinger Plattenkalk (vgl. Dietl & Schweigert 1999a, 80) und ein weiterer Hinweis auf rasche Abla-gerung des ihn umgebenden Kalkschlicks (dazu ausführlich Stephan 2002/03). Senkrechte Einbettung von Nautiliden wird nach Dietl & Schweigert (1999a, 80) im Posidonienschiefer (Unterer Jura) von Holzmaden (Südwestdeutschland), der durch seine gut erhaltenen Fischsaurier bekannt ist, „sehr häufig“ angetroffen.

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Verschütteter Krebs befreit sich aus frisch abgelagerter Kalkschlicklage
Abb. 1: Langarmkrebs Mecochirus auf einer Platte aus dem Solnhofener Plattenkalk. Die Laufspuren des Krebses sind jedoch hier nicht eingedrückt worden. Vielmehr handelt es sich um Ausgüsse, denn sie sind erhaben. Die Ausgüsse entstanden, als die nächste Kalkschlicklage die Fährten bedeckte. Das wiederum zeigt: Die Platte ist die Unterseite der Kalkschlicklage, die die Krebsspuren und den lebenden Krebs verschüttete. Ferner sind die überlangen Scherenbeine nur als Abdruck vorhanden, während es sich bei dem unregelmäßigen „Knäuel“ um das abgestreifte Häutungshemd handelt (s. Abb. 2). (Zeichnung: Marion Bernhardt; nach einem Foto von Günter Schweigert)

Besonders eindrucksvoll konnte die rasche Ablagerung einer Kalkschlicklage jedoch an einem Fund aus dem weltbekannten Solnhofener Plattenkalk (Oberer Jura; Südliche Frankenalb) demonstriert werden. Ein Exemplar des relativ häufigen Langarmkrebses Mecochirus, der lustigerweise von den Steinbrechern „Schnorgackel“ genannt wird, liegt scheinbar verendet am Ende seiner Laufspur. Doch hier täuscht dieser öfter beschriebene Befund (vgl. Frickhinger 1994, 296-299; 1999, 152).

Es handelt sich um die Unterseite einer Kalkplatte, an der Reste des Fossils zum Teil noch „kleben“, teilweise aber nur als Abdruck vorhanden sind (Abb. 1). Des Rätsels Lösung erkennt man, wenn man die Platte herumdreht und ihre Oberseite betrachtet. Dort sieht man eine auffällige Vertiefung genau über dem Krebsrest (der Unterseite); die Vertiefung ist von Wühlspuren umgeben. Nach Schweigert & Frattigiani (2004) erklärt sich der Befund so: Der Mecochirus wurde während seiner Häutung auf dem Meeresboden von der plötzlichen Ablagerung einer Kalkschlick-Sedimentwolke überrascht und komplett zugedeckt. Es gelang dem Krebs jedoch, „mit heftigen Bewegungen“ sein Häutungshemd abzustreifen, das er unter der Kalkschlicklage zurückließ (es täuscht nun auf der Unterseite der Platte ein Körperfossil vor; s.o.); der Krebs wühlte sich sodann durch den frischen Kalkschlick zur Oberfläche durch, wobei er ein Loch hinterließ (es liegt heute als Vertiefung vor), das u.a. von charakteristischen Abdrücken seiner Scherenbeine umgeben ist.

„Die Schlicklage stellt demnach ein einziges Sedimentationsereignis dar“, schließen Schweigert & Frattigiani (2004, 253), „und erstaunlicherweise hatte dieser Schlick thixotrophe Eigenschaften, entwässerte also spontan und bildete eine verhältnismäßig feste Oberfläche aus, die unmittelbar nach der Entstehung wieder in der Lage war, oberflächliche Spuren zu erhalten, ohne wie ein Brei zusammen zu fließen“ (zu diesem bedeutsamen Befund Stephan 2002/03, 75-77).

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Wie lange dauerten die Pausen zwischen den Kalkschlickablagerungen?
Abb. 2: Langarmkrebs Mecochirus longimanus aus dem Solnhofener Plattenkalk (Nach O. Abel).

Zu dieser wichtigen Frage, die für das Problem der geologischen Zeiträume, der „Tiefenzeit“ (Gould 1990, 14; nach McPhee) bedeutsam ist, äußern Schweigert & Frattigiani (2004, 253): „Sicherlich steckt aber in den Pausen wesentlich mehr Zeit als im eigentlichen Sedimentationsvorgang. In diesen Pausen konnten sich dann Mikrobenmatten ansiedeln, die immer wieder nachweisbar sind.“ Es ist klar, daß die Sedimentationsunterbrechungen länger dauerten als das hier besonders eindringlich dokumentierte Augenblicksereignis der Ablagerung einer (nach der Verfestigung) 16 mm dicken Kalkschlicklage. Entscheidend ist jedoch, wie lange die Sedimentationspausen dauerten. Zumal mikrobielle Rasen heute, „namentlich in subtropischen und tropischen Gebieten, innerhalb weniger Stunden – „blitzschnell“ wachsen (Gall & Krumbein 1992, 42.44). Auch die Hinweise auf etwas dickere Mikrobenmatten auf bestimmten Lagen des Solnhofener Plattenkalks (Röper et al. 1999, 38-43) müssen keine wirklich langen Zeiten umfassen. Zudem gibt es durchaus nicht immer Anhaltspunkte für Mikrobenrasen in Plattenkalken; Befunde im Nusplinger Plattenkalk lassen darauf schließen, daß „Cyanobakterien hier nur gelegentlich Matten bildeten“ (Bantel et al. 1999, 15). Sowohl aus dem Nusplinger als auch aus dem Solnhofener Plattenkalk kennt man überzeugende Belege für rasche Ablagerung mehrerer Kalkschlicklagen nacheinander im Zeitraum von größenordnungsmäßig Wochen; darauf weisen an anderer Stelle Dietl & Schweigert (2001, 96) ausdrücklich hin (vgl. Schweigert & Fraggittiani 2004, 253; zusammenfassend Stephan 2002/03, 16-18).

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Lebte Krebs 50 Millionen Jahre in geologisch nicht überlieferten Biotopen?

In Plattenkalken werden immer wieder unbekannte Fossilien entdeckt; Paläontologen müssen annehmen, daß sie in der Zeit davor geologisch nicht überlieferte Lebensräume besiedelten. „Das bedeutet, daß längst nicht alle zu einer bestimmten Zeit existierenden Biotope auch fossil überliefert werden“ (Dietl & Schweigert 1999b, 46). Dieser vielfach bestätigte Befund ist wichtig für den Aufbau einer biblisch-urgeschichtlich orientierten Geologie (dazu ausführlich Stephan 2002). Aus dem Nusplinger Plattenkalk wurden bereits einige Beispiele angeführt und diskutiert (Stephan 2002, 84-91); hier soll ein spektakulärer Fall aus dem Solnhofener Plattenkalk vorgestellt werden:

1996 beschrieben italienische Forscher die Krebsart Rosenfeldia triasica aus der Ober-Trias, die zu den Breitschildkrebsen (Eryoniden) gehört (heutige Vertreter der Eryoniden leben in der Tiefsee und gelten als „lebende Fossilien“). Erst kürzlich hat man erkannt, daß eine bruchstückhaft erhaltene, im 19. Jahrhundert zu einer anderen Gattung gestellte Krebsart aus dem Solnhofener Plattenkalk ebenfalls in die Gattung Rosenfeldia gestellt werden muß (Schweigert 2004a). Nach einem Suchappell von G. Schweigert in der Zeitschrift Fossilien entdeckte ein Sammlerehepaar in einer Schublade ein – ebenfalls vergleichsweise schlecht erhaltenes – Exemplar von Rosenfeldia oppeli aus den Mörnsheimer Schichten, die den eigentlichen Solnhofener Plattenkalk überlagern (Schweigert 2004b; vgl. Tischlinger 1999, 163-168). Bald darauf konnte R. Frattigiani eine weitere, insgesamt etwas besser erhaltene R. oppeli aus dem Solnhofener Plattenkalk erwerben (Schweigert & Frattigiani 2005).

Das heißt also, zwischen der Ober-Trias und der Ablagerung des Solnhofener Plattenkalks – die Zeitspanne wird mit über 50 Millionen Jahren angegeben – lebte Rosenfeldia in geologisch (bisher) nicht überlieferten Lebensräumen. Nach Schweigert (2004a) war die Art Rosenfeldia oppeli zur Oberjurazeit bereits ein „lebendes Fossil“ aus der Triaszeit. Schweigert & Frattigiani (2005) meinen, die große Seltenheit dieses Krebses könnte dadurch bedingt sein, daß sein geologisch nicht überlieferter Lebensraum möglicherweise flachmarine Hartgründe oder felsige Küstenzonen waren (wegen zerstörendem, weil heftigem und ständigem Wellengang besitzen solche Biotope kein gutes fossiles Überlieferungspotential). Aber das ist natürlich eine Vermutung.

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Literatur

Bantel G, Schweigert G, Nose M & Schulz H-M (1999)
Mikrofazies, Mikro- und Nannofossilien aus dem Nusplinger Plattenkalk (Ober-Kimmeridgium, Schwäbische Alb). Stuttgarter Beitr. Naturk. B 279, 1-55.
Dietl G & Schweigert G (1999a)
Ein Nautilus mit in-situ liegendem, vollständigen Kieferapparat aus dem Nusplinger Plattenkalk (Oberjura, SW-Deutschland). N. Jb. Geol. Paläont. Abh. 211, 75-87.
Dietl G & Schweigert G (1999b)
Nusplinger Plattenkalk. Eine tropische Lagune der Jura-Zeit. Stuttgarter Beitr. Naturk. C 45, 1-62.
Dietl G & Schweigert G (2001)
Im Reich der Meerengel. Der Nusplinger Plattenkalk und seine Fossilien. München.
Dietl G & Schweigert G (2005)
Auf „Krokodiljagd“ im Nusplinger Plattenkalk. – Die Nusplinger „Krokodiljagd“ ging weiter. Paläontologische Forschung, Grabungsberichte. Internet: www.palaeontologische-gesellschaft.de/ .../forschung/grabber.html (27.07.05).
Frickhinger KA (1994)
Die Fossilien von Solnhofen. Dokumentation der aus den Plattenkalken bekannten Tiere und Pflanzen. Korb.
Frickhinger KA (1999)
Die Fossilien von Solnhofen. 2. Neue Funde, neue Details, neue Erkenntnisse. Korb.
Gall J-C & Krumbein WE (1992)
Weichkörperfossilien. Fossilien 9, 35-49.
Gould SJ (1990)
Die Entdeckung der Tiefenzeit. Zeitpfeil und Zeitzyklus in der Geschichte unserer Erde. München.
Röper M, Leich H & Rothgaenger M (1999)
Die Plattenkalke von Pfalzpaint. Eichendorf.
Schweigert G (2004a)
Rarität im Solnhofener Plattenkalk. Fossilien 21, 70.
Schweigert G (2004b)
Rarität im Solnhofener Plattenkalk – ein erster Sucherfolg! Fossilien 21, 329.
Schweigert G & Dietl G (2003)
Nautiliden mit Kropf und Kiefern. Fossilien 20, 342-345.
Schweigert G & Frattigiani R (2004)
Vom Fossil geschrieben: Eine Seite im Buch der Erdgeschichte. Fossilien 21, 251-254.
Schweigert G & Frattigiani R (2005)
Heureka – die Rosenfeldia ist da! Fossilien 22, 198-199.
Seilacher A (1970)
Begriff und Bedeutung der Fossil-Lagerstätten. N. Jb. Geol. Paläont. Mh. 1970, 34-39.
Stephan M (2002)
Der Mensch und die geologische Zeittafel. Holzgerlingen.
Stephan M (2002/03)
Zur Bildungsdauer des Nusplinger Plattenkalks. Stud. Int. J. 9, 28-37, 73-78; 10, 12-20.
Tischlinger H (1999)
Geologie – Fossilwerdung – Präparation. In: Frickhinger KA (1999) Die Fossilien von Solnhofen. 2. Neue Funde, neue Details, neue Erkenntnisse. Mit einer Einführung in die Geologie der Plattenkalke von H. Tischlinger, 158-179. Korb.

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