Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 12. Jg. Heft 1 - Mai 2005
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Streiflichter


Studium Integrale Journal
12. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2005
Seite 41 - 46





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Abb.1: Wasserläufer Gerris. Foto: Andreas Waechter.

Federleicht huschen sie über das Wasser – es ist faszinierend, ihren flinken, ruckartigen Bewegungen zuzusehen: Die zu den Wanzen zählenden Wasserläufer schweben scheinbar schwerelos auf der Wasseroberfläche. Dabei profitieren sie von der Oberflächenspannung des Wassers. Immerhin bis zu 4,4 mm beträgt die Einsinktiefe, und es wird eine bis zu dreihundertfache Wassermenge des Fußvolumens verdrängt. Xuefeng Gao und And Lei Jiang vom Nationalen Zentrum für Nanotechnik in Peking sind der Technik, die dieser Fähigkeit zugrunde liegt, auf die Spur gekommen. Demnach ermöglichen feine, nadelförmge Härchen an den Füßen die Bildung winziger Luftkissen unter den Füßen. Diese Härchen sind durchschnittlich 50 Mikrometer lang und 0,2-3 Mikrometer dick und stehen etwa 20 Grad vom Fuß ab. Auf der Oberfläche dieser feinen Borsten befinden sich winzige Furchen. Darin vermuten die beiden Forscher winzige Luftbläschen, welche die Luftkissen bilden, die die Benetzung verhindern. Diese Erkenntnisse könnten helfen, wasserabweisende Materialien zu entwickeln bzw. zu verbessern: Einmal mehr bietet sich die Schöpfung als Lehrmeister für die Technik an.

RJ

[Gao X & Jiang AL (2004) Biophysics: Water-repellent legs of water striders. Nature 432, 36]


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Abb.1: Der Stirnlappen-Basilisk (Basiliscus plumifrons), wegen seiner besonderen Fähigkeit, auf der Wasseroberfläche laufen zu können, auch als „Jesus-Echse“ bezeichnet. Foto: Botanischer Garten Basel.

Nicht nur „Federgewichtler“ wie die Wasserläufer-Wanzen können sich auf der Wasseroberfläche bewegen – eine Echse kann das auch. Bibelkenner wissen, daß dies gelegentlich auch Menschen konnten: Nach dem Zeugnis der Evangelien ging Jesus auf dem Wasser, als er seinen in Seenot bedrängten Jüngern zu Hilfe kam. Auch Petrus war dazu auf Jesu Geheiß in der Lage. Dieser Begebenheit verdankt die in Costa Rica, Nicaragua und Panama beheimatete sogenannte Jesus-Echse ihren populären Namen. Doch ihre Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen, wird dem Stirnlappen-Basilisk (Basiliscus plumifrons), wie er mit „richtigem“ Namen heißt, nicht durch ein Wunder ermöglicht, sondern durch eine besondere Art der Fortbewegung. Die Technik des Wasserläufers alleine würde der Echse wegen ihres Gewichts allerdings nichts nützen; ihr gelingt dies auf ganz andere Weise. Der Trick liegt in der Schnelligkeit, wie jeder weiß, der schon einmal flache Kiesel auf dem Wasser springen ließ. Ob die Waseroberfläche nachgibt oder wie ein fester Untergrund wirkt, hängt nämlich von der Geschwindigkeit ab, mit der ein Gegenstand auf die Oberfläche trifft. Genau diesen Effekt macht sich der 200 Gramm schwere Basilisk zunutze, indem er seine Beine mit großer Geschwindigkeit aufs Wasser schlägt. Das schafft den nötigen Widerstand gegen das Einsinken. Doch die Geschwindigkeit ist nicht alles. Erst ein komplizierter Bewegungsablauf aus drei Phasen – Aufschlagen, Rudern, Zurückziehen – ermöglicht nicht nur das Vorwärtskommen, sondern auch die Stabilisierung der Lage.

RJ

[Hsieh ST & Lauder GV (2004) Running on water: Three-dimensional force generation by basilisk lizards. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 101, 16784-16788.]


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Fächerflügler (Strepsiptera) sind Insekten mit einem merkwürdigen Parasitismus. Ihren Namen haben sie aufgrund ihrer Flügelfaltung erhalten (gr.: strepsein = drehen, hin und her wenden; pteron = Flügel, Feder). Die heutigen Vertreter weisen eine Körperlänge von 2-6 mm auf. Bisher sind ca. 600 Arten wissenschaftlich beschrieben, vermutet werden aber mehr als 2000 Arten.

Die meisten Fächerflügler leben endoparasitisch (d. h. im Innern ihrer Wirte) in verschiedenen Insekten, häufig Hymenoptera (Ameisen, Wespen, Bienen u.a.) und Orthoptera (Heuschrecken, Grillen, Gottesanbeterinnen u.a.). Typischerweise verbleiben die Weibchen zeitlebens in ihrem Wirt und zeigen nach außen nur ihr Vorderende. Die geschlechtsreifen Männchen fliegen für wenige Stunden und suchen die infizierten Wirte auf, um die Weibchen zu begatten. Dabei orientieren sie sich an von den Weibchen ausgeschütteten Sexuallockstoffen (Pheromonen). Bisher wurden 21 fossile Fächerflügler beschrieben (bis auf eine Ausnahme männliche Exemplare), die meisten davon als Bernsteineinschlüsse.

Den jüngsten Beitrag lieferten Pohl et al. (2005). Sie beschreiben ein mit 8 mm auffallend großes Exemplar, das in Baltischen Bernstein eingeschlossen ist. Der als Protoxenos janzeni benannte Fächerflügler weist als eine auffällige Besonderheit vollständig ausgebildete Mundwerkzeuge (Labrum, Maxillen, Labrum) auf. Bei den meisten heutigen Arten sind diese entweder nur sehr schwach ausgebildet oder fehlen ganz.

Nach bisherigen Beobachtungen an heute lebenden Exemplaren nehmen die geschlechtsreifen Männchen typischerweise keine Nahrung auf. Sie nutzen die wenigen Stunden ihres Lebens, um geschlechtsreife Weibchen in den befallenen Wirtsorganismen anzufliegen und zu begatten, danach sterben sie.

Könnte der Befund, daß die neuentdeckte fossile Form komplette Mundwerkzeuge besaß, als Hinweis interpretiert werden, daß Parasitismus als abgeleitetes Phänomen verstanden werden kann, daß also die Vorläufer der heutigen Parasiten ursprünglich völlig unabhängig von Wirten lebensfähig und nicht auf deren Stoffwechselprodukte angewiesen waren?

HB

[Pohl H, Beitel RG & Kinzelbach R (2005) Protoxenidae fam. Nov. (Insecta, Strepsiptera) from Baltic amber – a ‘missing link’ in strepsipteran phylogeny. Zoologica Scripta 34, 57-69.]


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Abb.1: Octopus vulgaris. Foto: Christian Dreber

Der Bau der Gliedmaßen der Landwirbeltiere wird als Paradebeispiel für das Homologie-Argument der Evolutionstheorie verwendet. Schon Charles Darwin wunderte sich darüber, daß grabende, laufende oder fliegende Wirbeltiere denselben Bauplan im Knochengerüst ihrer Extremitäten verwenden und sah darin einen Beleg für gemeinsame Abstammung. Das Homologie-Argument „lebt“ aber nicht allein von der Ähnlichkeit der Baupläne, sondern beruht auf der Mutmßung, daß die Ähnlichkeit ausgeprägter sei als die Funktion dies erfordere. Diese Argumentation erweist sich bei genauerer Anlayse allerdings als fragwürdig (Diskussion bei Junker 2002). Eine Studie an den Bewegungsweisen der Krakenarme macht dies erneut deutlich. Denn Untersuchungen von Binyamin Hochner und Mitarbeitern von der Hebrew University in Jerusalem zeigten, daß die Kraken (Octopus vulgaris; Abb. 1) ihre langen Greifarme teilweise versteifen, wenn sie ein Stück Beute ins Maul stopfen. Dabei benutzen sie durch die Versteifung den jeweiligen Arm ganz ähnlich wie der Mensch: Nur drei Stellen bleiben gelenkig und beweglich, dem Handgelenk, dem Ellenbogen und dem Schultergelenk vergleichbar. Für die Wissenschaftler zeigt sich damit, daß diese Unterteilung von Gliedmaßen die optimale Lösung für das Heranholen von Objekten ist. Die genaue Auswertung von Filmaufnahmen ergab, daß die Abschnitte zwischen dem vorderen und dem mittleren sowie dem mittleren und dem hinteren Gelenk fast genau gleich lang waren. Damit seien die Arme genauso unterteilt wie die von Wirbeltieren.

Damit liefert die Studie ein Argument dafür, daß der Gliedmaßen-Bauplan der Wirbeltiere alleine funktionell, ohne Rückgriff auf eine hypothetische Stammesgeschichte verstehbar ist. „It is surprising, given the large number of possible ways in which a flexible arm could convey an object to the mouth, that the octopus uses a quasi-articulated structure that resembles the multijointed, articulated limbs of animals with rigid skeletons“ (Sumbre et al. 2005). Einen Vorteil gegenüber Wirbeltieren haben die Kraken allerdings: Sie können die Geometrie ihres Armes an die jeweilige Situation anpassen und die starren Abschnitte unterschiedlich lang machen.

RJ

[Junker R (2002) Ähnlichkeiten, Rudimente, Atavismen. Holzgerlingen; Sumbre G, Fiorito G, Flash T & Hochner B (2005) Motor control of flexible octopus arms. Nature 433, 595]


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Das evolutionäre Homologie-Argument wird durch zwei immer wieder nachweisbare Befunde geschwächt: Im vorigen Beitrag über die Krakenarme ging es darum, daß bestimmte Bauplanmuster funktionell verstehbar sind und keine „unnötige“ Ähnlichkeit besitzen, die nur stammesgeschichtlich als historisches Relikt erklärbar wären. Das Homologie-Argument wird zum zweiten dadurch in Frage gestellt, daß Merkmale, die nach üblichen vergleichenden Kriterien als homolog gewertet werden müßten, zwei- oder mehrfach unabhängig entstanden sind. Man spricht in solchen Fällen von Konvergenz. Ein höchst erstaunliches Beispiel dafür liefert der Geruchssinn des Palmendiebs (Birgus latro), einer bis 4 kg schweren ausschließlich landlebenden Krabbe. Ihren sonderbaren Namen verdankt sie ihrer Fähigkeit, auf Palmen zu klettern, um Kokosnüsse zu ergattern. Evolutionär soll der Palmendieb von wasserlebenden Krabben abstammen. Die Eroberung des Landes erforderte unter anderem tiefgreifende Veränderungen des Geruchssinnes, da die Anforderungen unter Wasser und an Land sehr verschieden sind. Markus Stensmyr und Bill S. Hansson untersuchten zusammen mit weiteren Wissenschaftlern das Geruchssystem dieser eindrucksvollen Tiere und stellten dabei fest, daß es dem von Insekten verblüffend ähnlich ist, und zwar sowohl in funktioneller als auch verhaltensbiologischer und morphologischer Hinsicht. Die Autoren bemerken: „The insect nose of the robber crab is a striking example of convergent evolution and nicely illustrates how similar selection pressures result in similar adaptation“ (Stensmyr et al. 2005, 116). Daß gleichsinniger Selektionsdruck für diese beeindruckenden Übereinstimmungen geltend gemacht werden kann, darf bezweifelt werden. Wenn aber solche tiefgreifenden Ähnlichkeiten konvergent entstehen konnten, folgt daraus, daß Ähnlichkeiten – auch wenn sie komplex sind – allgemein nicht zwingend als Hinweise auf gemeinsame Abstammung gewertet werden können – wie im Falle des Palmendiebs.

RJ

[Stensmyr MC, Erland S, Hallberg E, Allén R, Greenaway P & Hansson BS (2005) Insect-Like Olfactory Adaptations in the Terrestrial Giant Robber Crab. Curr. Biol. 15, 116-121.]


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Einen Winzling mit einem selbst für das Reich der Mikroorganismen extrem geringen Durchmesser von ca. 400 nm (sein Volumen ist damit um den Faktor 100 kleiner als das eines E. coli-Bakteriums) haben Huber et al. (2002) beschrieben. Die Wissenschaftler hatten den „reitenden Urzwerg“ – so etwa der deutsche Name von Nanoarchaeum equitans – nördlich von Island in einem untermeerischen Vulkangebiet entdeckt. Er lebt dort und auch in den Laborkulturen bei Temperaturen von bis zu 100 °C auf der Oberfläche eines anderen, ebenfalls exotischen Archaeums Ignicoccus („Feuerkugel“); unabhängig von diesem Lebewesen konnte N. equitans bislang nicht kultiviert werden. Waters et al. (2003) haben das Erbgut des Winzlings sequenziert und mit 490 885 Basenpaaren das bislang kleinste Genom eines Mikroorganismus analysiert. Sie fanden ein ausgesprochen kompaktes Genom, ca.

95% werden vermutlich zur Codierung von Proteinen und stabiler RNA genutzt. Die Autoren schreiben, daß dieser Organismus einen ursprünglichen Vertreter der Archaea mit einem stark reduzierten Genom darstelle.

Randau et al. (2005) haben jüngst überraschende Ergebnisse aus weiteren Studien am Genom von N. equitans veröffentlicht. Sie suchten nach bisher nicht nachgewiesenen Genen für bestimmte tRNA-Spezies. Diese Moleküle gewährleisten bei der Translation (Übersetzung der genetischen Information in die jeweiligen Genprodukte, z.B. Proteine) die Anlieferung und den Einbau der jeweils codierten Aminosäure. Bisher waren in N. equitans keine tRNA-Gene für Glutaminsäure, Histidin, Tryptophan und das Methionin-Startcodon gefunden worden. Der Organismus benötigt diese tRNA-Moleküle jedoch zum Aufbau von Proteinen. Daher war es eine Herausforderung, zu klären, wie N. equitans dieses Problem löst.

Mit Computerunterstützung suchten die Autoren zunächst, ob im Genom Teile der gesuchten Gene enthalten sein könnten. Sie fanden tatsächlich neun Gen-Hälften, diese waren nach dem Anticodon (dieses Triplett ermöglicht den Einbau der Aminosäure an der korrekten Position) geteilt. Die zusammengehörenden Gen-Hälften weisen an den entsprechenden Enden jeweils komplementäre GC-reiche Oligonukleotide mit 12-14 Basen auf. Für tRNAHis und tRNAGlu konnte im Experiment gezeigt werden, daß die prognostizierten tRNA-Moleküle tatsächlich gebildet werden.

In Hypothesen zur erstmaligen Entstehung von tRNA wird über Genduplikation oder Verknüpfung von sog. RNA-Haarnadeln (hairpin; wie der Name nahe legt, entsprechend geformte RNA-Moleküle) spekuliert. Demnach sei die RNA durch Zusammenfügung einzelner Bruchstücke entstanden. Randau et al. wählten N. equitans für Ihre Untersuchung aus, weil der Mikroorganismus häufig als urtümlich betrachtet wird (er wird in den entsprechenden Stammbäumen im Wurzelbereich der Archaea angesiedelt).

Randau und Mitarbeiter interpretieren die neuen Befunde in der Weise, daß bei N. equitans noch RNA-hairpin vorliege, die zu tRNAs zusammengefügt werden. Die Zusammenfügung der RNA-Teile wäre demnach sozusagen als ein Relikt aus der Entstehungszeit, als die Teile wie Puzzlestücke zu funktionsfähigen Molekülen aneinandergefügt wurden. Um diese Ansicht zu erhärten müssen noch weitere Hinweise untersucht werden, aber schon jetzt muß kritisch eingewendet werden, daß Puzzlestücke genau zueinander passen und sinnvoll in einem Organismus integriert sein müssen. Puzzle-Gene stellen nicht schon an sich eine Erklärung für einfache genetische Prozesse dar, Puzzlestücke müssen exakt zusammenpassen und sich in ein großes Gesamtbild einfügen. Damit wirft das Puzzle-System neue Fragen nach dessen Entstehung auf, ohne andere zu lösen.

HB

[Huber H, Hohn MJ, Rachel R, Fuchs T, Wimmer VC & Stetter KO (2002) A new phylum of Archaea represented by a nanosized hyperthermophilic symbiont. Nature 417, 63-67; Randau L, Münch R, Hohn MJ, Jahn D & Söll D (2005) Nanoarcheum equitans creates functional tRNAs from separate genes for their 5’and 3’halves. Nature 433, 537-541. Waters E, Hohn MJ, Ahel I, Graham DE, Adams MD, Barnstead M, Beeson KY, Bibbs L, Bolanos R, Keller M, Kretz K, Lin X, Mathur E, Ni J, Podar M, Richardson T, Sutton GG, Simon M, Söll D, Stetter KO, Short JM & Noordewier M (2003) The genome of Nanoarchaeum equitans: Insights into early archaeal evolution and derived parasitism. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 100, 12984-12988.]


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Laut britischem Wissenschaftsmagazin New Scientist vom 9. Oktober 2004 wurden in der Demokratischen Republik Kongo in den abgelegenen Waldgebieten der nördlichen Region um Bondo und Bili Affen mit einer Größe von bis zu zwei Metern entdeckt. Die Primatologin Shelly Williams vom Jane-Goodall-Institut in Maryland ist die einzige Forscherin, die die Affen gesehen hat. Bislang ist unklar, zu welcher Art sie gehören. Ihr Äußeres und ihr Verhalten scheinen „zwischen“ Schimpanse und Gorilla zu liegen. Möglicherweise handelt es sich um eine bislang unbekannte Menschenaffenart oder -unterart.

Beim ersten Sichtkontakt verzogen sich die Affen leise, als sie das Team sahen, ähnlich wie es Schimpansen tun. Ein Gorilla-Männchen würde dagegen eher einen lautstarken Angriff starten. Mit diesem hat die mögliche neue Form aus dem Kongo jedoch körperliche Merkmale gemein: ein schwarzes Gesicht und ein großer Scheitel- und Nackenkamm. Die Tiere werden bis zu zwei Meter groß und haben ein Gewicht von schätzungsweise 85 bis 100 Kilogramm. Das bringt sie in die Größenkategorie der Gorillas. Aber die Region liegt 500 Kilometer von den bekannten Lebensräumen der Gorillas entfernt. Wie Gorillas legen die kongolesischen Affen offenbar Schlafnester auf dem Boden an, doch benutzen sie diese im Gegensatz zu ihnen mehrfach. Nahrungsreste, die man aus einem der Nester bergen konnte, ließen auf den Speiseplan der Primaten schließen. Er besteht hauptsächlich aus Früchten und weniger aus Blattwerk wie bei den Gorillas. Auch bezüglich Körperbau und Schädelmerkmalen gleichen sie eher sehr großen Schimpansen.

Es gibt drei mögliche Erklärungen für die interessante Merkmalsmischung der Tiere: Die Tiere könnten „Riesen-Schimpansen“ sein, die sich Gorilla-artig verhalten, oder sie sind Hybriden aus beiden Arten, oder aber es handelt sich um eine bisher nicht bekannte Spezies, was als die grandioseste zoologische Sensation seit vielen Jahren angesehen würde.

Eine Hybridform wäre meiner Meinung nach jedoch mindestens genauso interessant, auch wenn eine solche Möglichkeit von einigen Wissenschaftlern angezweifelt wurde, weil der Schimpanse (Pan) dem Menschen genetisch etwas näher stehe als dem Gorilla (wobei die morphologischen Ähnlichkeiten jedoch offensichtlich Pan und Gorilla verbinden). Sollte es sich tatsächlich um einen Hybriden in freier Wildbahn handeln, so würde dies die Bedeutung der genetischen Ähnlichkeit weitgehend abschwächen, anhand derer man Pan näher zu Homo gruppieren will.

SHS

[Young E (2004) The beast with no name. New Scientist 9 Oct 2004, pp 33-35]


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Bei den Rhesusaffen ist seit über 100 Jahren erstmals wieder eine neue Art entdeckt worden. (Die letzte Entdeckung glückte auf der Indonesischen Insel Mentawai im Jahr 1903.) Die Gattung Macaca besitzt damit 21 Arten, wobei 20 in Asien vorkommen. Die Rhesusaffen wiederum gehören zusammen mit 8 anderen Gattungen – am bekanntesten sind die Meerkatzen und die Pavianartigen –, zum Grundtyp der Meerkatzenartigen (Cercopithecinen), der mehr als 40 Arten umfaßt (Hartwig-Scherer 1993). Die neue Art wurde Arunachal-Makake genannt, nach dem Gebiet von Arunachal Pradesh im Himalaya, wo sie gesichtet wurde. Der lateinische Name Macaca munzala bedeutet Tiefer-Wald-Affe (mun zala; Sprache der Dirang Monpa-Leute). Dieses Jahr wird über diesen Fund eine Veröffentlichung im International Journal of Primatology erscheinen.

Die zufällige Entdeckung, die durch eine wissenschaftliche Expedition in unerforschten Gebieten und großen Höhen gelang, war eine große Überraschung: Im bevölkerten Indien hatte man als letztes eine Neuentdeckung eines großen Säugers erwartet. Die neue Rhesusaffenart trägt am Kopf ein recht dunkles Fell und mitten auf der Stirn einen auffälligen fahlgelben Fleck. Ihr Schwanz ist recht stämmig. Ihre Merkmale sind eine Kombination zweier Arten, nämlich vom Asam-Makaken (Macaca assamensis) und Tibet-Makaken (Macaca thibetana; der englische Name „stumptail macac“ weist auf den kräftigen stumpfen Schwanz hin, den die neue Art ebenfalls trägt). M. D. Madhusudan, ein Ökologe der Nature Conservation Foundation in Mysore, und Kollegen gehen jedoch davon aus, daß es weder eine Unterart noch eine Hybridform ist, da beide Elternarten nicht zusammen in der Gegend vorkommen. Auf jeden Fall handelt es sich nicht um einen Einzelfund, da man eine vergleichsweise große Ansammlung dieser Makaken über 1200 Quadratkilometer verteilt identifizieren konnte. Das besondere ist, daß diese Art zwischen 2000 und 3500m Höhe lebt und damit zu den wenigen Säugern gehört, die in den höchstgelegenen besiedelbaren Gebiete überhaupt vorkommen. Das Auftauchen von Merkmalen in verschiedenen Arten paßt gut zur Vorstellung, daß im Grundtyp der Genpool mit den wesentlichen Merkmalen bereits vorhanden ist (Polyvalenz), und sich durch die bekannten Variationsmechanismen (Selektion, Isolation, Gendrift u.a.) in verschiedenen Arten und Gattungen unterschiedlich manifestiert.

SHS

[http://www.sciam.com/media/struct/trans.gif; Hartwig-Scherer S (1993) Hybridisierung und Artbildung bei den Meerkatzenartigen (Primates, Cercopithecoidea). In: Scherer S (ed) Typen des Lebens, Berlin, S. 245-257]


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In einer Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 16. 12. 2004 wird über eine sehr alte und kunstvolle Elfenbeinflöte aus der Schwäbischen Alb berichtet, die man bei der Sichtung vieler Elfenbeinfragmente im Zuge der Fundplatzauswertung vom Geißenklösterle entdeckte. Die Rekonstruktion der 18,7 cm großen Flöte gelang aus 31 Fragmenten feinstem Mammutelfenbein. Nicholas Conard, der Leiter des Forscherteams, und Mitarbeiter berichten von dieser Entdeckung in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Archäologisches Korrespondenzblatt. In der süddeutschen Geißenklösterle-Höhle bei Blaubeuren/Ulm wurden zuvor schon zwei andere Flöten aus Vogelknochen und andere Kunstgegenstände wie kleine Elfenbeinfigürchen gefunden. Diese Entdeckung ist umso faszinierender, als es sich bei den Herstellern um Neandertaler gehandelt haben könnte (vgl. Hartwig-Scherer 2004).

Die 3 Flöten, die man im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart besichtigen kann, sind die weitaus ältesten bekannten Musikinstrumente. Das geologische Alter des Fundhorizontes zwischen 37.000-30.000 Jahre liegt im Zeitraum der letzten Neandertaler und der ersten modernen Menschen. Die letzte der drei Flöten ist von außerordentlicher Qualität, hatte mindestens drei Löcher und setzt ein erstaunliches musikalisches Empfinden voraus. Das Ausgangsmaterial war vom erlesensten Mammutzahn, das damals zugänglich war. Eine Flöte aus Elfenbein herzustellen ist wesentlich komplexer als aus einem Vogelknochen, der schon hohl ist. Der krumme Mammutzahn wurde halbiert, ausgehöhlt und luftdicht (!) verbunden und zusammengeklebt. Eine von einem Musikwissenschaftler aus Ebenholz nachgebaute Flöte läßt erahnen, welch ansprechende Melodien man auf diesem Instrument spielen konnte. Nach Friedrich Seeberger, einem Spezialisten für archäologische Musik, erlaubten diese aurignacienzeitlichen Flöten eine variantenreiche und nach heutigen Maßstäben ästhetisch ansprechende Musik. Untersuchungen am Kehlkopf des Neandertalers vom englischen Archäologen Stephen Mithen weisen diesem eine hohe feine Singstimme zu (Süddeutsche Zeitung Nr. 24 vom 31. 1. 2005), so daß der Vorstellung von Höhlenkonzerten nichts mehr im Wege steht.

Conard hält es für möglich, daß Süddeutschland ein Entwicklungszentrum menschlicher Kunst war. Daß dieser Ursprung bei den Neandertalern liegen könnte, war bis vor kurzem undenkbar.

SHS

[Conard NJ et al. (2004) Archoläogisches Korrespondenzblatt 34, 447-462; http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm2004/pm824.html; Conard NJ (2004) Palaeolithic ivory sculptures from southwestern Germany and the origins of figurative art. Nature 426, 830-832; Hartwig-Scherer S (2004) Wundersame Eiszeitkunst: Waren die Neandertaler die ältesten Kulturträger? Stud. Int. J. 11, 86-88.]


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Supernovae Typ IA werden als sogenannte „Standardkerzen“ zur Entfernungsbestimmung im Kosmos verwendet. Ihre absolute Helligkeit ist immer gleich. Aus der gemessenen scheinbaren Helligkeit läßt sich also ihre Entfernung bestimmen. In den letzten Jahren wurde mehrfach beobachtet, daß der so gewonnene Wert für die Entfernung nicht mit dem Wert übereinstimmt, der aufgrund der Rotverschiebung zu erwarten wäre (Sahni 2004). Dies wird im Standardmodell so interpretiert, daß sich die Expansion des Universums zur Zeit beschleunigt. Unter anderem um diese Beschleunigung zu erklären wurde die Existenz der „dunklen Energie“ postuliert. Diese soll 73% der Energie im Universum ausmachen. Als mögliche Ursache für die Beschleunigung wird u.a. ein von Null verschiedener Wert der kosmologischen Konstanten in den Einsteinschen Feldgleichungen vermutet. Eine der diskutierten Alternativen ist ein dynamisches Quantenkraftfeld mit dem Namen „Quintessenz“.

Das Verhältnis von Energie zum Druck, der durch die Energie verursacht wird, wird mit w bezeichnet und ist negativ. Sollte die dunkle Energie durch die kosmologische Konstante in den Einsteinschen Feldgleichungen beschrieben werden, dann wäre w = –1. In diesem Fall wäre jedoch während der Geschichte des Universums eine „Feinabstimmung“ verschiedener kosmologischer Parameter nötig gewesen (Narlikar et al. 2002, Sahni 2004). Andernfalls wäre das Universum bald nach dem Urknall wieder kollabiert oder es hätte sich zu schnell ausgedehnt. Die Bildung von Galaxien und die Existenz von Leben wäre in beiden Fällen nicht möglich. Eine solche Abstimmung der Parameter wird jedoch von der Mehrheit der Kosmologen abgelehnt. Dies dürfte zumindest einer der Gründe sein, warum eine Vielzahl von weiteren Modellen für die dunkle Energie vorgeschlagen wurde (eine Auswahl findet sich in Sahni [2004]). Aus diesen folgen verschiedene Werte von w.

Die dunkle Energie spielt auch in den Modellen zur Galaxienbildung eine Rolle und hat in den verschiedenen Modellen Auswirkungen auf die Massenverteilung im Universum.

Zur Zeit wird mit dem „Wilkinson Microwave Anisotropy Probe“ (WMAP) der NASA der Mikrowellenhintergrund in bisher nicht erreichter Genauigkeit ausgemessen. Die geringfügigen Abweichungen von einer gleichförmigen, isotropen Verteilung bilden in Kombination mit neueren Aufnahmen von Supernovae Typ IA und Messungen der Massenverteilung im Universum die Möglichkeit, verschiedene Modelle für die dunkle Energie zu überprüfen. Kuntz et al. (2004) und Corasanti et al. (2004) konnten auf diese Weise einige Modelle für die dunkle Energie ausschließen. Sie kommen jedoch zum Schluß, daß die im Moment vorliegende Datenmenge noch nicht ausreicht, um entscheiden zu können, ob w den Wert –1 besitzt oder nicht. Der Wert –1 ist aber nach derzeitigem Stand mit den Meßwerten verträglich.

Selbst wenn weitere Messungen auf einen bestimmten Wert von w hinweisen sollten, dann wäre die physikalische Ursache für das Auftreten der dunklen Energie weiterhin unklar. Dies liegt daran, daß verschiedene physikalische Ursachen den selben Wert für w ergeben können.

Es wird auch noch über Alternativen diskutiert, wie die vorliegenden Daten im Standardmodell ohne die dunkle Energie erklärt werden könnten. Eine Möglichkeit wäre eine Modifikation des Gravitationsgesetzes.

Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, da die unerwarteten scheinbaren Helligkeiten der Supernovae Typ IA erst seit wenigen Jahren bekannt sind. Es kann jedoch festgestellt werden, daß die dunkle Energie zumindest im Moment ein großes Problem für das Standardmodell darstellt. Die dunkle Energie wurde von Krauss (2004) in Nature sogar als das „größte Rätsel der Physik“ bezeichnet. Es ist seiner Ansicht nach fraglich, ob in Zukunft überhaupt eine befriedigende Erklärung gefunden werden kann.

JS

[Corasanti PS, Kunz M, Parkinson D, Copeland EJ & Bassett BA (2004) Foundations of observing dark energy with the Wilkinson Mikrowave Anisotropy Probe Phys. Rev. D 70, 083006; Krauss LM (2004) What is dark energy? Nature 431, 519; Kunz LM, Corasaniti PS, Parkinson D & Copeland EJ (2004) Model-independent dark energy test with using results from the Wilkinson Mikrowave Anisotropy Probe Phys. Rev. D 70, 041301; Narkilar JV, Vishwakarma JG & Burbidge G (2002) Interpretations of the accelerating universe. astro-ph 0205064; Sahni V (2004) Dark matter and dark energy. astro-ph0403324]


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