Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 11. Jg. Heft 1 - April 2004
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Ammoniak für die Ursuppe?

von Harald Binder

Studium Integrale Journal
11. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2004
Seite 35 - 36


Die Entstehung des ersten Lebens gehört zu großen ungelösten Fragen der Evolutionsbiologie. Selbst für die Bereitstellung einfacher Ausgangsstoffe gibt es kaum plausible Vorstellungen. Dies gilt insbesondere für Ammoniak, welcher in Ursuppenexperimenten benötigt wird. In einer jüngst veröffentlichten technisch orientierten Arbeit wurde dieses Problem aufgegriffen, die Ergebnisse werden nachfolgend vorgestellt und kritisch beleuchtet.

Der amerikanische Chemiker Stanley L. MILLER hat 1953 in einer Veröffentlichung die Herstellung von Aminosäuren beschrieben unter Bedingungen, wie sie auf einer noch unbelebten Erde vorstellbar sind (MILLER 1953, BINDER 2003). Als Ausgangsstoffe setzte er eine Gasmischung aus Methan (CH4; als Kohlenstoffquelle), Ammoniak (NH3; als Stickstoffquelle), Wasser (H2O) und Wasserstoff (H2) ein. Unter dem Einfluß von Funkenentladungen bildete sich ein Gemisch organischer Substanzen, aus dem Miller die Aminosäuren Glycin, Alpha-- und Beta-Alanin und Asparaginsäure isolieren und mittels Papierchromatographie nachweisen konnte.

Die Auswahl der für die Synthese verwendeten Ausgangsstoffe ist unter chemischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll. Doch welche Hinweise gibt es dafür, daß sie auf der frühen Erde überhaupt vorkamen? Diese Frage wird nach wie vor kontrovers diskutiert.

Einen neuen Beitrag zu dieser Frage lieferten kürzlich DÖRR und Mitarbeiter (DÖRR et al. 2003). Sie haben eine mögliche Quelle für den Ammoniak vorgeschlagen und experimentelle Untersuchungen dazu vorgestellt. Für ihre Versuche greifen die Autoren auf ein Konzept von G. WÄCHTERSHÄUSER (1988, 1992) zurück, in dem dieser die Synthese eines Eisensulfid-Minerals (Pyrit: FeS2) als Grundlage für die Synthese wichtiger chemischer Bausteine für erste lebendige Systeme postuliert. Die Reaktion zwischen Eisensulfid (FeS) und Schwefelwasserstoff (H2S) liefert Pyrit/Eisendisulfid (FeS2) und Wasserstoff (H2):

FeS + H2S <—> FeS2 + H2

Bei dieser Reaktion wird Energie freigesetzt, sie kann durch Kopplung mit anderen Vorgängen zur Energiequelle werden. Der entstehende Wasserstoff (H2) sorgt für reduzierende Bedingungen und verhindert die oxidative Zerstörung von Reaktionsprodukten und kann selbst Kohlenoxide (CO und CO2) als Kohlenstoffquelle für die Synthesen zugänglich machen. Dieser entstehende Pyrit wird von DÖRR et al. zur Ammoniaksynthese eingesetzt.

Für die Synthese von Ammoniak (NH3) aus Stickstoff (N2) ist die Aufspaltung des zweiatomigen Stickstoffmoleküls in zwei einzelne Atome notwendig und deren Verknüpfung mit Wasserstoff. Die technische NH3-Synthese (Haber-Bosch-Verfahren) ist bereits lange realisiert, wobei neben den Katalysatoren hohe Energiemengen in Form hoher Drücke und Temperaturen bereitgestellt werden müssen.

In der Natur produzieren Mikroorganismen bei der Stickstoffixierung Ammoniak aus Luftstickstoff unter Beteiligung von Enzymen (Nitrogenase) bei Atmosphärendruck und milden Temperaturen. Die molekularen Prozesse der natürlichen N2-Fixierung sind erst ansatzweise verstanden und Gegenstand aktueller Untersuchungen. Es konnte gezeigt werden, daß Nitrogenasen in ihrem aktiven Zentrum einen Eisen-Molybdän-Schwefel Komplex enthalten. Dieser Sachverhalt wird im Zusammenhang mit WÄCHTERSHÄUSERs Pyrit-Hypothese als ein Indiz dafür gewertet, daß schon zu Zeiten, als noch keine Lebewesen die Erde besiedelt haben, Eisen-Schwefel-Verbindungen eine wichtige Rolle spielten und in Enzymen konserviert sind. Allerdings darf hier nicht übersehen werden, daß Enzyme, deren aktives Zentrum aus Eisen-Schwefel-Komplexen aufgebaut ist, wesentlich mehr sind, als nur mit Proteinen verzierte Reste einer postulierten Eisen-SchwefelWelt.

DÖRR et al. (2003) haben für ihre Untersuchungen jeweils frisch hergestellte Eisensulfidsuspensionen mit verdünnter Schwefelsäure auf einen schwach sauren pH-Wert (pH 3-4) eingestellt, wodurch Schwefelwasserstoff entwickelt wird und die oben dargestellte Reaktion abläuft. In dieses System wurde sieben Tage lang ein Stickstoffstrom eingeleitet (0,5 l/h). Nach entsprechender Aufarbeitung konnte Ammoniak mit einer Ausbeute von 0,1% (bezogen auf das eingesetzte Eisensulfid) nachgewiesen werden. In Kontrollexperimenten ohne Stickstoffzufuhr entstanden ebenfalls geringe Mengen an Ammoniak, die aber deutlich geringer waren (< 0,01%). Durch Experimente mit durch 15N angereichertem Stickstoff konnte bestätigt werden, daß der Ammoniak hauptsächlich aus dem zugeführten Stickstoff entsteht. Mit älterem Eisensulfid konnte keine Ammoniaksynthese beobachtet werden; für den katalytischen Prozeß scheint frisch erzeugtes Eisensulfid notwendig zu sein. Die Autoren vermuten in der zerklüfteten Oberfläche des frisch hergestellten Eisensulfids die Ursache für diesen Befund.

Die Autoren geben abschließend ihrer Hoffnung Ausdruck, daß trotz der geringen Ausbeute (0,1%) und den speziellen Randbedingungen (frisch hergestelltes Eisensulfid, pH-Werte) angesichts der postulierten Bedingungen auf einer frühen Erde (lange Reaktionszeiten und entsprechende Mengen an Eisensulfid und Schwefelwasserstoff) ihr Vorschlag „in deutlichem Maße zum Ammoniakhaushalt“ der urzeitlichen Erde beigetragen haben könnte.

Die häufig postulierten langen Zeiten im Zusammenhang mit der präbiotischen Chemie nützen gar nichts.

Die vermutete lange Reaktionszeit ist angesichts vielfältiger Reaktionswege, auf denen der Ammoniak alternativ umgesetzt werden kann, aber äußerst problematisch zu bewerten; er ist über längere Zeit einfach gar nicht verfügbar. Die häufig postulierten langen Zeiten im Zusammenhang mit der präbiotischen Chemie nützen somit gar nichts.

Damit ist wieder eine unter technischen Gesichtspunkten entwickelte Synthese in einem Zusammenhang mit den Szenarien der Lebensentstehung diskutiert worden, und damit der Eindruck erweckt worden, als sei damit ein wichtiger Schritt durch empirische Befunde belegt. Dabei zeigen die Resultate, daß auch bei heute verfügbaren chemischen Erkenntnissen und Technologien eine NH3-Quelle für präbiotische Synthesen nicht plausibel ist. Der hier vorgestellte und diskutierte Beitrag von DÖRR et al. (2003) demonstriert ein weiteres Mal, daß die Bereitstellung selbst einfachster Chemikalien für die ersten Synthesen biologisch relevanter Moleküle auf einer hypothetischen frühen Erde nach aktuellem Stand chemischer Technologie unbekannt ist.

Anmerkung: Die Autoren haben jüngst eine ausführlichere und populärere Version ihres Beitrags veröffentlicht (KREISEL et al. 2003).

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Literatur

BINDER H (2003)
Miller-Experimente zur Chemie der Lebensentstehung – 50 Jahre danach. Stud. Int. J. 10, 65-73.
DÖRR M, KÄßBOHRER J, GRUNERT R, KREISEL G, BRAND WA, WERNER RA, GEILMANN H, APFEL C, ROBL C, WEIGAND W (2003)
Eine mögliche präbiotische Bildung von Ammoniak aus molekularem Stickstoff auf Eisensulfidoberflächen. Angew. Chem. 115, 1579-1581 (Angew. Chem. Int. Ed. 42, 1540-1543).
KREISEL G, WOLF C, WEIGAND W, DÖRR M (2003)
Wie entstand das Leben auf der Erde? Chem. in uns. Zeit 37, 306-313.
MILLER SL (1953)
A production of amino acids under possible primitive earth conditions. Science 117, 528-529.
WÄCHTERSHÄUSER G (1988)
Before enzymes and templates: Theory of surface metabolism. Microbiol. Rev. 52, 452-484.
WÄCHTERSHÄUSER G (1992)
Groundworks for an evolutionary biochemistry: The iron-sulphur world. Prog. Biophys. Mol. Biol. 58, 85-201.

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